#weRemember

27. Januar 2019 Gesellschaft
von Matija Vudjan
Die Einfahrt in das Konzentrationslager Birkenau nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Foto: Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha / CC-BY-SA 3.0

Heute vor 74 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. Deutschland gedenkt seit 1997 am 27. Januar den Opfern der Shoa; 2005 ist der Jahrestag von der UN zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ ernannt worden. Gerade in der gegenwärtigen Zeit wird deutlich, wie bitter nötig dieser Gedenktag auch heute noch ist – und auch dauerhaft bleiben wird.

„Those who do not remember the past are condemned to repeat it.“
George Santayana

In wenigen Jahren schon werden wir nicht mehr die Möglichkeit haben, Zeitzeugen erzählen zu lassen, welches Grauen sie persönlich in den unzähligen Konzentrationslagern erfahren mussten, für die Auschwitz nach dem Zweiten Weltkrieg zum Symbol geworden ist: zum Symbol für den Zivilisationsbruch, zum Symbol dafür, dass das Undenkbare und Unfassbare eben doch möglich ist. Zum Symbol dafür, wozu der Mensch fähig ist.

Dem Unvorstellbaren ein Gesicht geben

Mehr noch als die vielen ehemaligen Konzentrationslager, die inzwischen die Funktion einer Mahn- und Erinnerungsstätte eingenommen haben, sind die Überlebenden des Holocaust zu einem Stachel geworden: zu einem Stachel, der sich tief in das Fleisch unserer Gesellschaft eingebohrt hat. Mit ihren Gesichtern und ihren Worten lassen sie die Tötungsmaschinerie des NS-Regimes real werden: 6,3 Millionen Menschen fielen dem Nationalsozialismus zum Opfer; darunter alleine 1,5 Millionen Menschen in Auschwitz. Dem Unvorstellbaren wird ein Gesicht gegeben.

Schon bald wird es diesen Stachel nicht mehr geben…

Unsere Erinnerungskultur wird eine andere sein, wenn die letzten Zeitzeugen des Holocaust verstorben sein werden. Schon heute können mehr als 20 Prozent der unter 30-jährigen mit dem Begriff „Auschwitz“ nichts anfangen. Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus werden in unserer Gesellschaft wieder zunehmend salonfähig – und auch die Grenze des Sagbaren verschiebt sich immer weiter: sei es dadurch, dass eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert wird, oder durch die Behauptung, die Nationalsozialisten seien nur ein „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“ gewesen.

Wie wird es erst aussehen, wenn es keine Zeitzeugen, keinen Stachel mehr geben wird?

Anamnetische Erinnerungskultur

In der Liturgiewissenschaft ist „Anamnese“ (von gr.  ἀνάμνησις – Erinnerung) ein zentraler Begriff. Gemeint ist damit nicht eine bloße Erinnerung an ein vergangenes Geschehen, sondern vielmehr ein vergegenwärtigendes Gedächtnis: In der Erinnerung an das Handeln Gottes in der Welt wird genau dieses Handeln vergegenwärtigt, verbunden mit der Hoffnung: So wie Gott schon einmal in der Welt gehandelt hat, so handelt er auch heute in ihr.

Anamnese ist gewiss auch ein Kernbegriff mit Blick auf das Gedenken an die Opfer des Holocaust. Am heutigen Tag geht nicht bloß um eine Erinnerung an ein singuläres Ereignis vor inzwischen 74 Jahren. Vielmehr geht es um die Vergegenwärtigung eines Geschehens, das uns auch heute noch radikal berührt: Der Holocaust geht uns alle etwas an! Der heutige Gedenktag führt uns das Grauen vor Augen, das die Menschheit, insbesondere aber unsere Gesellschaft bis heute prägt – und auch noch weit darüber hinaus prägen muss.

Schon bald wird es den Stachel der Zeitzeugenschaft nicht mehr geben. Unsere Aufgabe und Verantwortung muss es sein, die Erinnerungskultur auch über die Zeitzeugenschaft hinaus lebendig zu halten. Nicht bloß erinnernd, sondern in dem Bewusstsein, dass Auschwitz uns prägt, ja sogar prägen muss. Gerade gegenwärtig wird dies deutlich und immer wichtiger. Den Stachel am Leben zu erhalten – das sind wir den Opfern wie den Überlebenden des Holocaust fortwährend schuldig!

Damit sich Auschwitz niemals wiederholt!

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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