Eine lebhafte Diskussion mit vier erwiesenen Expertinnen und Experten, lehrreiche Workshops und eine eindrucksvolle Eucharistiefeier – all das konnten am letzten Mittwoch etwa 120 Gäste beim Dies Academicus, einem Studientag des Fachschaftsrates der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Ruhr-Uni Bochum, erleben.
Reden die Kirchen an den Menschen vorbei? Wer jüngst in die Zeitung geschaut und Medienberichte verfolgt hat, wird an diesem Eindruck vermutlich nicht vorbeikommen. Wenn es Schlagzeilen über die Kirche gibt, sind diese in der allermeisten Fällen negativ – der frisch aufgedeckte Missbrauchskandal und die Reaktion der katholischen Kirche darauf zeigen das ja eindeutig. Darüber hinaus gehen nur noch etwa 10 Prozent der Katholiken (und etwa 8 Prozent der Protestanten) regelmäßig zum Gottesdienst – und nehmen damit das Standardangebot der Kirche(n) wahr. Eine verschwindend geringe Zahl, gemessen am kirchlichen Selbstanspruch.
„Wir müssen reden!“
Reden die Kirchen also an den Menschen vorbei? Die zwei genannten Beispiele zeigen, dass die Frage eine dringliche ist – und eine aktuelle zugleich. Aus diesem Grund hat der Fachschaftsrat der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Ruhr-Uni Bochum am vergangenen Mittwoch (24. Oktober) zu einem Dies Academicus unter dem Titel „Wir müssen reden!“ eingeladen. Ziel des Tages war es, die gegenwärtige kirchliche Kommunikation auf den Prüfstand zu stellen.
Nach einem Grußwort des Dekans Prof. Dr. Thomas Söding, der klar machte, dass das Thema des Dies Academicus ein grundlegendes sei („Die Partnerschaft der Kirche steht auf dem Spiel, vor allem mit Leuten von heute, mit Bewegungen und Institutionen, die sich für Natur und Kultur einsetzen, für Bildung und soziale Gerechtigkeit, für Wissenschaft und Kunst.“) stellten sich die vier Referentinnen und Referenten des Tages, Erik Flügge, Kim de Wildt, Elżbieta Kucharska-Dreiß und Hannes Leitlein mit ihrer jeweiligen Kernthese, vor.
Das Podiumsgespräch
Laut Erik Flügge, seines Zeichens Kommunikationsberater, sei es das Kernproblem der Kirche, dass sie eine Sprache pflege, die nicht mehr in die heutige Zeit passt. Kaum jemand verstehe heute noch die kirchliche Metaphorik, geschweige denn, dass die zahlreichen kirchlichen Verlautbarungen, die zudem in lateinischer Sprache veröffentlicht werden, wahrgenommen würden. Aufgrund des kirchlichen Machtapparates (und ihrer Abhängigkeit davon) hätten die meisten Menschen heute Angst, sich kritisch über die Kirche zu äußern. Die Konsequenz dessen sei eine gekünstelte Emotionalisierung der kirchlichen Sprache, die die Kommunikationssituation aber faktisch entmenschliche.
In eine ähnliche Richtung, wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt aus, argumentierte die Liturgiewissenschaftlerin Kim de Wildt: Die Kirche kommuniziere ihre Botschaft zwar sehr deutlich und diese werde von den Menschen auch verstanden – aber sie werde nicht mehr akzeptiert. Papst Franziskus möge zwar anders sprechen als es seine Vorgänger getan haben, darauf folgten aber keinerlei Konsequenzen. Auch heute müsse man innerhalb der Kirche noch Angst haben, sich kritisch zu äußern; berufliche Konsequenzen seien dann immer zu fürchten. Ganz besonders werde dies deutlich, wenn man sich kritisch zu moralischen Themen äußere.
Zwischen Sprache und Inhalt
Elżbieta Kucharska-Dreiß, germanistische Linguistin, vertrat den Standpunkt, dass die Sprache der Kirche nicht das Problem sei, sondern vielmehr ihr Denken. Die Sprache der Kirche könne noch so gut sein, solange sich ihr Denken (z. B. in moralischer Hinsicht) nicht ändere. Einfach so eine andere Sprache zu verwenden, sei auf Dauer nicht authentisch und würde zu einem noch größeren Glaubwürdigkeitsverlust führen, als die Kirche ihn ohnehin schon durchlebe. Ganz grundsätzlich – und fernab von jeglicher Kommunikationssituation – habe die Kirche aber auch das Problem, dass der Mensch sich von ihr emanzpiert habe und sie ihr ‚Machtinstrumentarium‘ nicht mehr anwenden könne.
Hannes Leitlein, evangelischer Theologe und stellvertretender Redaktionsleiter bei „Christ&Welt“, berichtete aus seinem journalistischen Alltag, dass die institutionalisierten Kirchen nur noch dann ‚ziehen‘, wenn sie mit Skandalen in einem Zusammenhang stehen. Religiöse sowie moralische Fragen seien heute so interessant und häufig gestellt wie vielleicht nie zuvor; die Sinnangebote, die die institutionalisierten Kirchen machen, würden allerdings immer seltener wahr-, geschweige denn angenommen. Ganz wesentlich, so Leitlein, hänge dies mit der – sowohl in verbaler als auch in nonverbaler Hinsicht – antiquierten Kommunikation der Kirche zusammen.
Was Elżbieta Kucharska-Dreiß bereits angedeutet hatte, verfestigte sich im weiteren Verlauf des Podiumsgespräches: Sprache und Denken, Sprache und Inhalt sind bis aufs Engste miteinander verknüpft. Die Sprache der Kirche möge noch so problematisch sein, dahinter stehe auch ein problematischer Inhalt, der heute viele Menschen abschrecke.
Kim de Wildt stellte eindrücklich dar, dass die kirchliche Hierarchie – und die damit einhergehende Elitenbildung sowie -abschottung – eines der zentralen Probleme der Kirche darstelle. Häufig fühle sie sich als Frau wie eine Laiin zweiter Klasse, ganz abgesehen davon, dass ihr im Grunde jegliche Chance verwehrt werde, innerhalb der Kirche Karriere zu machen. Hannes Leitlein pflichtete dem bei:
„Zu einer Kirche, in der Frauen und Homosexuelle nicht vorkommen, möchte ich selbst auch nicht dazugehören!“
— Hannes Leitlein
Erik Flügge stimmte diesem Punkt zu, machte gleichwohl aber darauf aufmerksam, dass es heute einfacher sei als jemals zuvor, aus der Kirche auszutreten:
„Es ist uns Anhängern der Kirche doch von vornherein klar, in welcher Institution und in welchen Strukturen wir uns befinden. Und trotzdem bleiben wir alle in diesem System – und unterstützen es dadurch nur noch mehr. Warum? Weil wir alle offensichtlich eine tiefer liegende Beziehung zu dieser Kirche haben, die uns im System hält.“
— Erik Flügge
Vor diesem Hintergrund sei es das Kernproblem der Kirche, dass sie es heute nicht mehr schaffe, die (noch (!) bestehende) Beziehung zu ihren Mitgliedern aufrecht zu erhalten: „Niemand, wirklich niemand ist heute in dogmatischer wie moralischer Hinsicht safe. Gerade dann kann ich mich doch als Kirche nicht mit dem Zeigefinger hinstellen! Dass dabei jegliche Bindungen verloren gehen, ist doch kein Wunder.“
Die Kirche und ihre Bindungslosigkeit
Bindungen und Beziehungen könnten, so Kim de Wildt, nur dann aufrecht erhalten werden, wenn Vertrauen (in die Kirche) gegeben sei – das sei momentan aber nicht der Fall. Die Kirche dürfe aber nicht den Fehler machen und glauben, dass man Vertrauen erzwingen könne. Vielmehr müsse sie verinnerlichen, dass die heutige Gesellschaft unverbindliche Angebote, auf die sie zurückgreifen kann, schätze. Angebote wie Nightfever würden genau dies erreichen – und seien deswegen so stark frequentiert. Gerade in diesem Zusammenhang sei es fatal, dass Kirchengebäude immer seltener erreichbar sind, weil sie außerhalb der Gottesdienstzeiten geschlossen seien.
Unverbindlichkeit sei ein wesentliches Element, so Elżbieta Kucharska-Dreiß, das aber wesentlich mit dem Aspekt der Freiheit einhergehe: Erst wenn die Kirche es schaffen werde, die Freiheit (und damit auch die Ungebundenheit) der Gläubigen anzuerkennen und ernst zu nehmen, werde sie wieder Vertrauen aufbauen können. Dabei sei aber entscheidend, dass die Kirchenmitglieder nicht mit Pflichten überfrachtet werden, sondern dass sie aus vielen unverbindlichen Angeboten aussuchen können, was zu ihnen passt.
Dass sich mit einem solchen Modell auch die kirchliche Struktur in Richtung einer größeren Unverbindlichkeit ändern würde, versteht sich von selbst. Gleichwohl machte Kim de Wildt darauf aufmerksam, dass man sich (aus der liturgiehistorischen Perspektive) von dem Gedanken verabschieden müsse, die Kirchen seien immer voll gewesen und der Exitus der Gläubigen habe erst in den letzten Jahrzehnten eingesetzt. Habe man dies erst einmal bedacht, sei es auch kein so großes Problem mehr, von der Sonntagspflicht als moralischer Pflicht abzusehen – und den Sonntag stattdessen zu einem wertvollen und inspirierenden Angebot für diejenigen zu machen, die es für sich annehmen wollen.
„Besteht der Sinn der Kirche alleine darin, die Kirchen voll zu bekommen?“
— Kim de Wildt
Trotzdem könne es nicht zufriedenstellend sein, wenn der Großteil der Kirchenmitglieder nicht mitbekomt, was in der Kirche geschieht, so Hannes Leitlein. Es müsse ein Kernanliegen der Kirche sein, mit den Gläubigen ins Gespräch zu kommen, erstens um als Kirche wahrnehmbar zu bleiben, aber auch zweitens, um selbst wahrzunehmen, was die Sorgen und Ängste der Menschen sind. Eine Kirche, die keine Mission (selbst wenn diese Mission es ist, sich um die Menschen zu sorgen) habe, könne es auch sein lassen. Oder, wie Erik Flügge es prägnant auf den Punkt brachte:
„Die Kirche hat keine Mission, sie ist Mission.“
— Erik Flügge
Vor dem Hintergrund der historischen Genese des Missionsbegriff sei mit dieser Aussage – wie auch mit dem Begriff der Mission – vorsichtig umzugehen, so Kim de Wildt, gleichzeitig sei aber klar, dass die Kirche auf die herkömmliche Art und Weise nur noch einen Bruchteil derer erreichen wird, die sie erreichen möchte. Elżbieta Kucharska-Dreiß betonte in diesem Zusammenhang (unter Zustimmung der anderen Vortragenden) abschließend, dass Kirchenmitglieder schon immer heterogen waren und sich dieser Umstand durch die steigende Pluralisierung der Gesellschaft in der nächsten Zeit verstärken werde. Wichtig sei es deswegen, unterschiedliche kirchliche Gruppierungen und Akteure nicht gegeneinander auszuspielen:
„Es kann nicht mit einem ‚entweder–oder’ weitergehen, sondern wir brauchen ab sofort ein ‚sowohl als auch’.“
— Elżbieta Kucharska-Dreiß
Die Kommunikation der Kirche in Zukunft, darin waren sich alle Expertinnen und Experten einig, sei — unabhängig davon, wie sie konkret aussehen wird – eine Kommunikation, die die plurale Gesellschaftsstruktur wahrnehmen und wertschätzen wird, und die von ihrem moralisierenden und verpflichtenden Impetus Abstand nehmen wird.
Vertiefung in den Workshops
Die einzelnen Schwerpunkte der Referentinnen und Referenten wurden nach dem Podiumsgespräch in einzelnen Workshops vertieft. Erik Flügge beschäftigte sich damit, wie man in der Pubertät authentisch Religion (und religiöse Inhalte) vermitteln könne. Kim de Wildt versuchte mit den Dimensionen Liturgie, Moral und Sakralraum aufzuzeigen, wie vielschichtig das Thema der kirchlichen Kommunikation (sowohl auf der verbalen als auch auf der nonverbalen Ebene) ist. Elżbieta Kucharska-Dreiß untersuchte in ihrem Workshop anhand mehrerer Predigten die unterschiedlichen Kommunikationssituationen, die in der Liturgie entstehen können. Und Hannes Leitlein suchte nach Mitteln und Methoden, wie man die „klerikale Blase“ zum Platzen bringen könne, wie man als die Kirche aus ihrer Selbstreferentialität befreien könne.
Die unterschiedlichen Schwerpunkte der Workshops zeigten nochmals auf, dass das Thema der kirchlichen Kommunikation besonders vielschichtig ist und dass beim Podiumsgespräch letztlich nur erste Oberflächenbohrungen betrieben wurden.
Eucharistiefeier und Abschluss
Nachdem zum Abschluss des Studientags eine kleine Zusammenfassung des Erlebten versucht und den Expertinnen und Experten für ihren Input gedankt wurde, galt es noch, das Gelernte in die Praxis umzusetzen. In einer eindrücklichen Eucharistiefeier, die einen besonderen Schwerpunkt auf die Verkündigung des Wortes Gottes legte, konnten die Mitfeiernden miterleben, dass die Liturgie zum einen sehr wohl auch innovativ sein kann, und dass sie zum anderen (gelungene) Kommunikation im wahrsten Sinne des Wortes sein kann, Kommunikation, die nicht nur im Kirchenraum verbleibt, sondern auch aus diesem herausstrahlt.
So wurde am Ende des Abends bei Snacks und Getränken – und unter dem Eindruck des inspirierenden Gottesdienstes – noch ausführlich über die Eindrücke des gesamten Tages gesprochen. Fest stand dabei für (fast) alle Teilnehmenden: Die Dimension der kirchlichen Kommunikation ist besonders vielschichtig und es gibt noch eine Menge zu tun, um alle Ziele für eine bessere und gelingendere Kommunikation zu erreichen. Aber: Der Dies Academicus hat auch gezeigt: Wir haben ausführlich und offen geredet – alleine deswegen sind wir auf einem guten Weg.