(Un)verständlich?!

2. August 2019 Theologie
von Matija Vudjan
Ein leerer Hörsaal – Symbol für die Unverständlichkeit der Theologie?
Foto: Luke Collinson/Unsplash; Lizenz: gemeinfrei

Von Karl Rahner ist die folgende Feststellung überliefert: „Man hat mich schon oft getadelt, zum Teil gewiß mit Recht, daß ich zu schwierig schreibe.“ Wer sich schon einmal mit Rahners Schriften auseinandergesetzt hat, dürfte geneigt sein, dem Theologen zuzustimmen. Was Rahner sich selbst zugeschrieben hat, wird heute häufig der Theologie im Allgemeinen vorgeworfen: sie sitze fest in ihrem sprachlichen Elfenbeinturm, habe kein Interesse, diesen zu verlassen, und werde (unter anderem) deswegen von der Breite der Gesellschaft kaum noch wahrgenommen, geschweige denn verstanden. Ist dem tatsächlich so? Und überhaupt: Muss die Theologie von jedermann verstanden werden?

„Lesbarer“ schreiben?

Genau diese Debatte wird momentan auf Twitter geführt. Stein des Anstoßes war eine Kolumne von Erik Flügge in der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“.

In seiner Kolumne stellt Flügge genau die eingangs beschriebene These auf: Theolog*innen schreiben unverständlich – wohlgemerkt im Gegensatz zu Autoren wie seiner selbst:

„Was die so viel forschenden und publizierenden universitären Theologen an Menschen wie mir aufregt, ist, dass wir uns Gehör verschaffen. Aber wir tun das nicht, indem wir einfach nur schreiben, sondern indem wir zuvörderst verständlich schreiben.“
Erik Flügge

Dazu kommt, so Flügge, dass sich daran – aufgrund des bestehenden Elfenbeinturms – in absehbarer Zeit wenig ändern wird:

„Es stünde allen Doktoranden gut an, nicht nur unter ihresgleichen zu diskutieren, sondern über Land zu reisen. Wie die Walz im Handwerk eine Thesenwanderschaft für Promovierende, die so ihr Wissen in die Gemeinden tragen, damit davon auch jemand erfährt.“
Erik Flügge

Allein die Reaktionen auf Flügges Kolumne auf Twitter – gerade vonseiten vieler Theologen, wohlgemerkt sowohl evangelischer- als auch katholischerseits!  – zeigen, dass der Kölner Politikberater einen wunden Punkt getroffen hat: In vielen Antworten wird angemerkt, das Thema sei viel komplexer, als Flügge es in seiner kurzen Kolumne habe darstellen können. Mehr noch: Flügge habe bloß im Interesse, die Thematik zu verkürzen – und damit zu pauschalisieren sowie zu polemisieren.

Nun stellt sich – gerade angesichts der Tatsache, dass sich viele Theolog*innen von der Kolumne haben provozieren lassen – die Frage, ob an Flügges These etwas dran ist. Ist die Sprache der Theologie wirklich zu kompliziert? Schreiben Theolog*innen wirklich unverständlich? Und leben sie wirklich in ihrem eigenen Elfenbeinturm?

Ich denke: Erik Flügge liegt richtig und falsch zugleich.

Theologie als Wissenschaft

Schöpfung Adams
So wie die bildende Kunst ihre eigenen Zeichen kennt, hat auch die Theologie ihre eigene Sprache.
Bild: Michelangelo: Die Erschaffung Adams

Fangen wir an mit dem zweiten Halbsatz: Erik Flügge liegt falsch, weil er missachtet, dass die Theologie als Wissenschaft bestimmten Kriterien folgen muss, die ihre Wissenschaftlichkeit ausmachen. Dazu gehört (neben Kriterien wie Objektivität, Validität oder Transparenz) ganz wesentlich auch ihre Sprache. Theologische Sprache ist deswegen a priori immer Wissenschaftssprache – und damit zu unterscheiden von z. B. journalistischer Sprache.

Es gibt innerhalb der Theologie einen etablierten sprachlichen Duktus. Das ist aber kein (negatives) Alleinstellungsmerkmal der Theologie, ganz im Gegenteil: einen solchen Duktus haben auch andere geisteswissenschaftliche Disziplinen wie z. B. die Philosophie und die Sozialwissenschaften, aber auch andere Wissenschaftsfamilien.

Wohl niemand würde auf die Idee kommen, von einem Bauingenieur zu fordern, seine Berechnungsformeln (beispielsweise beim Bau eines Hauses) so offen zu legen, dass sie jeder Laie verstehen kann. Im Umkehrschluss ist es genauso töricht, eine*n Theolog*in aufzufordern, die eigenen Forschungsergebnisse grundsätzlich und ohne Ausnahme so zu elementarisieren, dass vielleicht der behandelte Sachverhalt ersichtlich wird, die dahinterstehende Position aber verwischt wird.

Theologische Sprache hat – da sie Wissenschaftssprache ist – ein gewisses Niveau; sie beruht auf unterschiedlichen (formalen, inhaltlichen und auch sprachlichen) Voraussetzungen, die sich auf ihr eigenes Vokabular auswirken. Das ist wesentlich für ihre Rolle (und ihre Anerkennung!) im Kosmos der Wissenschaften. Wer Theolog*innen vorwirft, dass sie zu unverständlich schreiben, verkennt, dass sie als Theolog*innen zuerst Wissenschaftler*innen sind. Er nivelliert den Kern der Theologie.

Öffentliche Theologie

Bibel
Theologie ist niemals Selbstzweck; sie braucht einen „Sitz im Leben“.
Symbolfoto: Rod Long/Unsplash; Lizenz: gemeinfrei

Erik Flügge hat gleichzeitig aber – und damit sind wir beim ersten Halbsatz – vollkommen Recht. Ja, Theolog*innen sind bisweilen kaum verständlich. Wer würde als Außenstehende*r von sich behaupten, Begriffe wie „Hylemorphismus“, „Transsubstantiation“ oder „Monophysitismus“ – drei von vielen besonders schönen begrifflichen Perlen! – zu verstehen, geschweige denn imstande zu sein, sie zu erklären?

Als Theolog*in könnte man nun entgegnen, dass diese Begriffe Teil des theologischen Vokabulars sind – in Analogie zu den oben bereits genannten Berechnungsformeln des Bauingenieurs. Aber die Analogie hinkt! Vergleicht man die beiden Gebiete Bauingenieurwesen und Theologie miteinander, so wird schnell deutlich: Die Formeln des Bauingenieurs sind wichtig für den Ingenieur selbst, der seine Arbeit gewissenhaft erledigen möchte, sowie vielleicht noch für den Bauherrn, der später einmal mit einem sicheren Gefühl in seinem Haus wohnen möchte. Theologische Forschung ist hingegen für einen viel größeren Personenkreis von Bedeutung.

Wenn die Theologie ernst nimmt, dass ihr eigenes Arbeitsfeld die „Wissenschaft von Gott“ ist, und wenn sie ernst nimmt, dass die Geschichte dieses Gottes mit den Menschen keine abgeschlossene ist, sondern dass die Zuwendung Gottes zu den Menschen bleibend ist, dass diese Zuwendung den Kern der christlichen Botschaft ausmacht, dann sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die vielen Erkenntnisse über Gott, über die Kirche(n), über christliche Glaubensgeschichte nicht nur in der theologischen Bibliothek verstauben zu lassen, sondern sie nach draußen zu tragen: zu den Menschen, sich von diesem Gott, von dieser(n) Kirche(n), von dieser Geschichte angesprochen wissen.

Bibliothek
Theologische Forschung gehört nicht nur in die Bibliothek!
Symbolfoto: Susan Yin/Unsplash; Lizenz: gemeinfrei

Theologische Forschung ist keine in ihrem Elfenbeinturm abgeschlossene; Theologie hat keinen Selbstzweck! Im Gegenteil: Theologie ist ihrem Wesen nach immer öffentlich, das heißt: auf die Öffentlichkeit zielend und in sie hineinragend!

Wo Religion und Glaube eine existentielle Dimension haben, wo sich Menschen von Gott angenommen wissen, dort ist klar, dass die Forschung über Glaube und Gott für ebendiese Menschen von sogar grundlegendem Belang ist. Gerade deswegen hat Erik Flügge Recht: Weil es die Gläubigen zutiefst angeht, zu wissen, was ihren Gott und ihren Glauben ausmacht, weil sie ein Recht (aus der theologischen Perspektive ja sogar die Pflicht!) darauf haben, ihren Glauben vernünftig zu leben, müssen Theolog*innen imstande sein, ihre Forschungsergebnisse so auf den Punkt zu bringen, dass sie auch von Nichttheolog*innen verstanden werden. Öffentliche Theologie funktioniert nur dann, wenn sie verständlich ist.

Zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit

Deutlich sollte bis hierhin ein Doppeltes geworden sein: Die Theologie ist zum einen eine wissenschaftliche Disziplin; als solche hat sie einen bestimmten Wissenschaftsduktus herausgebildet, zu dem ganz wesentlich auch ihre Sprache gehört. Die Forderung nach einer grundlegenden Änderung theologischen Sprechens ist also ohne Weiteres nicht umsetzbar.

Die Theologie ragt zum anderen in die Öffentlichkeit hinein. In der Öffentlichkeit werden jedoch andere Sprachregister gezogen als im wissenschaftlichen Diskurs. Gerade weil theologische Erkenntnisse auch diejenigen Menschen affizieren, die der Theologie (fachlich gesehen) fernstehen, muss es ein Interesse der Theologie sein, auch öffentlich wahrgenommen zu werden. Das geht aber nicht mit den Mitteln des wissenschaftlichen Diskurses.

Auf den Kompromiss kommt es an!

Wie ist dieser Spagat zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit dauerhaft machbar? Meines Erachtens nur dann, wenn die Eigenständigkeit beider Ebenen gewahrt wird. Es wäre verfehlt – gerade in der heutigen Zeit, in der die Wissenschaftlichkeit der Theologie zur Disposition steht! –, voll auf die Karte „Öffentlichkeit“ zu setzen und damit Gefahr zu laufen, aufgrund einer zu „einfachen“ Sprache nicht mehr als Wissenschaft anerkannt zu werden.

Es wäre ebenso wenig von Erfolg geprägt, einen Kompromiss zwischen den Sprachregistern „Wissenschaft“ und „Öffentlichkeit“ zu suchen. Dabei entstünde bloß eine Mischebene: Weder wäre die theologische Sprache dabei vollkommen der Öffentlichkeit angemessen, noch bliebe sie im vollen Sinne wissenschaftlich.

Der Spagat scheint mir nur machbar, indem konsequent beide Ebenen bespielt werden – und zwar jede für sich. Das Verbindungselement zwischen der wissenschaftlichen und der öffentlichen Ebene liegt dann im Bereich des Inhaltlichen. Es ist ein und derselbe Inhalt, der in zwei Diskurswelten hineingetragen wird: in die wissenschaftliche einerseits und in die öffentliche andererseits.

Für Theolog*innen ist dies natürlich gleichbedeutend mit einem deutlichen Mehraufwand. Aber es ist ein Mehraufwand, der der Theologie letztlich auch fernab des wissenschaftlichen Diskurses ihre Relevanz sichert. Ein Mehraufwand, der für ein deutliches Mehr an Rezeption sorgt.

Es ist ein Mehraufwand, der sich lohnt!

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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