Die NSA-Affäre aus ethischer Sicht

6. November 2013 Ethik, Gesellschaft
von Matija Vudjan
Ich habe euch vor längerer Zeit gefragt, ob ihr euch vorstellen könnt, dass ich hier im Blog auch wissenschaftliche Themen anspreche. Die Resonanz auf diesen Vorschlag war vollkommen positiv: alle, die abgestimmt haben, haben sich dafür ausgesprochen. Momentan schreibe ich eine Hausarbeit, in der ich die NSA-Affäre ethisch bewerte. Einen einleitenden Abschnitt möchte ich euch hier – in abgeänderter Form – vorstellen


In ihrem Selbstverständnis waren die USA schon immer die Weltmacht schlechthin. Manifestiert wurde diese Überzeugung durch den „Sieg“ im 2. Weltkrieg sowie den Zerfall des kommunistischen Ostblocks nach dem Ende des Kalten Krieges.

Durch die Ereignisse des 11. September 2001 ist das Selbstbewusstsein der US-Amerikaner nachhaltig beschädigt worden. Auch wenn spätestens seit 9/11 eindeutig ist, dass die Staaten nicht unverwundbar sind, so wird die Dimension dieser Vorstellung erst jetzt durch die NSA-Affäre deutlich.

Dank der Enthüllungen Edward Snowdens wissen wir inzwischen, dass infolge der New Yorker Terroranschläge aus amerikanischer Sicht jeder Bewohner des Erdballs ein potentieller Terrorist ist. Die National Security Agency hat nach aktuellen Erkenntnissen jahrelang nicht nur massenweise Daten von Telefon und Internet abgezapft, sondern gezielt auch Gespräche wichtiger politischer Führungspersonen (z. B. Angela Merkel, Papst Benedikt XVI.) abgehört.

Von den politischen Konsequenzen abgesehen – die es zweifelsfrei geben muss – betrifft die NSA-Affäre aus ethischer Sicht zwei Grundwerte menschlichen Lebens, die schon seit jeher in einem wechselseitigen Spannungsfeld stehen: Die Werte der (nationalen bzw. allgemeinen) Privatheit und der Sicherheit.

Mikro- und Makroebene

Versucht man, die beiden Güter ethisch einzuordnen, so lässt sich folgendes feststellen: Das Gut der Privatheit ist auf der Mikroebene verortet, es betrifft also a priori nur den einzelnen Menschen als Individuum. Das Gut der Sicherheit ist hingegen auf der Makroebene einzuordnen, es betrifft also die Gesellschaft im Ganzen.

Denkt man diesen Gedanken zuende, ist die großflächige Spionage durch die NSA vollkommen gerechtfertigt. Denn: aus moraltheologischer Sicht ist die Allgemeinheit bzw. die Gesellschaft dem Individuum übergeordnet (plastisch ausgedrückt: Ziel ist es, so viele Menschen wie nur möglich vor Gefahren zu schützen; das Ignorieren der Privatheit der Einzelnen wird dabei billigend in Kauf genommen).

Über Privatheit und Freiheit

Man kann die beiden Güter aber auch mit einem anderen Kriterium vergleichen: Spätestens seit der Aufklärung wird der Mensch als vollkommen freies Wesen verstanden – eine Auffassung, die von der modernen Theologie sowohl in religiöser als auch soziologischer Sicht adaptiert wurde. Wichtig ist dies aufgrund folgender Argumentation: Diejenigen ethischen Güter, die die Freiheit des Menschen betreffen, sind insofern vorrangig, als dass sie als normative (d. h. unantastbare) Werte gelten.

Der renommierte Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas hat gessagt, die Privatheit stelle das für die Frage, ob der Mensch ein freies Wesen sei, das entscheidende Kriterium dar. Ein Individuum gelte nur dann als frei, wenn es sich ohne Hindernis für einen vorübergehenden Zeitraum von der Gesellschaft zurückziehen könne.

Die massive Bespitzelung der NSA hat dafür gesorgt, dass es den privaten Rückzugsraum de facto nicht mehr gibt. Dadurch verliert der Mensch zwangsläufig seine (ihm axiomatisch zugesprochene) Privatheit – und dadurch in letzter Konsequenz sein Privileg, ein freies Wesen zu sein. Man kann den Gedanken dann soweit zuspitzen und schließen, dass der moderne Mensch durch die NSA-Affäre im Fundament seines Seins erschüttert wird.

Zusammenfassende Gedanken

Insgesamt lässt sich sagen: Ja, man kann die massive Abhörung der Bürger dieser Welt durch die NSA ethisch und moraltheologisch legitimieren. Aber: Tut man dies, lässt man völlig außer Acht, welches Grundrecht menschlichen Seins der Wert der Privatheit darstellt. Beachtet man hingegen dieses, so muss man zu dem Schluss kommen, dass die Überwachung nicht nur in keinem Verhältnis zur eigenen Zielsetzung – der Abwehr und Prävention von möglichen Terroranschlägen – steht, sondern auch kontraproduktiv zu jedem gesunden Verständnis von Gesellschaft ist.

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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2 Kommentare zu „Die NSA-Affäre aus ethischer Sicht“

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