Über das (unnötige) Leid – die Theodizee-Diskussion

14. November 2013 Theologie
von Matija Vudjan
In diesen Tagen erschüttert uns alle die Sturmkatastrophe auf den Philippinen. Fast 3000 Menschen sind nach bisherigen Einschätzungen gestorben; Hunderttausende haben kein Dach mehr über ihrem Kopf und müssen ohne sauberes Wasser und Strom auskommen.
In religiösen und theologischen Diskussionen wird im Zusammenhang mit solchen Tragödien immer wieder die Theodizeefrage gestellt, also die kritische Anfrage, wie Gott solch ein Leid zulassen könne, wenn er doch allmächtig und gütig sei.

Zur Geschichte der Theodizeefrage

Gottfried Wilhelm Leibniz, portr. v. Christoph Berhnard Francke um 1700
Quelle: Wikipedia

Die Frage nach dem Warum bezüglich des Leides ist nicht neu; öffentlich – in einem intellektuellen Raum – wurde sie erstmals nach dem verheerenden Erdbeben von Lissabon 1755 gestellt, bei dem der Großteil der portugiesischen Stadt zerstört wurde. Die Argumentation war damals wie heute dieselbe: Wie kann ein allmächtiger Gott, der als seine Schöpfung liebender Schöpfer gedacht wird, dabei tatenlos zuschauen, wie seine Schöpfung Leid erfährt?

Ihren Höhepunkt erreichte die Theodizeefrage im Geschehen der Shoa: Der systematische Völkermord an den Juden während des Dritten Reiches verdeutlichte eine neue Dimension: Der Mensch erfährt nicht mehr Leid durch äußere Umstände, sondern durch das Handeln des Menschen selbst. Die Schöpfung zerstört sich also selbst.

Versteht man Gott als allmächtiges Wesen, so ist jedes Leid, das der Mensch erfährt, schlicht und ergreifend überflüssig, ja fast unverständlich. Viele Philosophen, Religionskritiker und auch Theologen kamen deswegen zu dem Schluss, dass es einen Gott aufgrund der Theodizee gar nicht erst geben könne.

Antwortversuche

Zweifelsfrei ist die Theodizeefrage diejenige, mit der sich Theologen im Diskurs mit Religionskritikern am meisten auseinandersetzen müssen. Und tatsache ist auch, dass es auf die Frage nach dem Leid von Seiten der Theologie bis heute keine hinreichende Antwort, sondern lediglich kleinere Ansätze eine Antwort gibt.

In der evangelischen Theologie wird in großen Teilen die Position vertreten, dass alles Schlechte, jedes Leid etwas gutes mit sich ziehe. Dieser Gedanke lässt sich auf das Lissaboner Erdbeben noch insofern anwenden, als dass daraus die Seismographie entstanden ist und weiteren Erdbeben somit leichter vorgebeugt werden kann. Im Hinblick auf den Holocaust ist es aber schlicht unmöglich, aus den Schandtaten der Nationalsozialisten etwas positives zu extrahieren. Ganz abgesehen davon, dass in dieser Perspektive der Opfergedanke überhaupt nicht aufgegriffen wird.

Die Katholische Theologie vertritt momentan einen eher freiheitsphilosophischen Ansatz: Gott liebt den Menschen als seine Schöpfung so sehr, dass er ihm die Freiheit zuspricht, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Entscheidet sich der Mensch gegen Gott, also für das Schlechte, so maßt sich Gott an, in diese Entscheidung nicht aktiv einzugreifen. In diesem Ansatz wird die Opferperspektive stark in den Vordergrund gerückt: Entscheidet sich ein Täter dafür, zu Gott zurückzukehren (d. h. er bereut die Tat), so wird das Opfer in sofern wichtig, als dass es entscheiden muss, ob es dem Täter verzeihen kann oder nicht. Problematisch am katholischen Ansatz ist aber, dass dadurch das Leid durch Naturkatastrophen vollkommen vernachlässigt wird.

Eine andere Perspektive

Auch wenn es auf die Theodizeefrage bis heute keine vollkommen gültige Antwort gibt, muss man den vielen Religions- und Gotteskritikern eine – zentrale Überlegung – entgegenwerfen: Wenn es wirklich keinen Gott gibt, was passiert dann mit den Opfern? Wenn es keinen Gott gibt, an wenn kann ich mich dann in der Situation des Leids richten? Wenn es keinen Gott gibt, wen kann ich dann anklagen, wenn ich eine konkrete Leidsituation erfahre?

Verneint man die Existenz Gottes, so untergräbt man auch, dass vielen Menschen im Leid eine wichtige Stütze entsteht. Das wird auf den Philippinen in diesen Tagen geradezu deutlich, wo viele Menschen aus ihrem Glauben heraus die Kraft schöpfen, weiter zu machen. Ja – die Theodizeefrage ist von theologischer Seite nicht beantwortet – seien wir ehrlich: wahrscheinlich wird das nie der Fall sein. Wenn man aber die Perspektive Gottes ignoriert, spitzt sich die Situation des Leides – insbesondere für die Opfer – immer weiter zu.

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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2 Kommentare zu „Über das (unnötige) Leid – die Theodizee-Diskussion“

  1. Hallo Matija,
    wir behandeln zur Zeit ebenfalls das Thema der Theodizee im Religionsunterricht.
    Wir haben uns die vergangenen Wochen und Stunden mit dem katholischen Ansatz befasst.
    Obwohl wir den evangelischen Ansatz nicht behandelt haben finden wir ihn sehr abwegig, da man im Beispiel des Holocaust erkennen kann, dass nicht auf jedes Leid eine positive Folge nach sich zieht. Oder kann es sein, dass wir den evangelischen Ansatz missverstanden haben?
    Des Weiterem fragen wir uns, welche anderen Perspektiven man noch einnehmen könnte?
    Abschließend können wir katholischen Ansatz nachvollziehen und verstehen. Dass der Mensch für sein Handeln die volle Verantwortung trägt spricht für die Willensfreiheit die Gott uns gibt und die wir nach Vorstellungen ausleben können. Daraus resultiert leider auch Leid welchen wir selbst zu verantworten haben und ihn uns selbst zuführen.
    Viele Grüße Nicolas und Thomas

  2. Hallo Matija,

    deine Frage, die du dir stellst finde ich äußerst interessant!
    Wenn Gott also als Allmächtig bezeichnet wird, kann ich den Gedankengang völlig nachvollziehen, dass Gott also auch über jede Art von Leid die dem Menschen hinzugefügt wird, entscheidet.
    Der Fall in dem ein Mensch einem anderen Menschen Leid hinzufügt, im Hinblick auf den Holocaust, denke ich ebenfalls, dass der Mensch seine eigene Entscheidung trifft, um sich für ein Handeln schuldig zu fühlen oder eben nicht, also ob er eben die Tat bereut.
    Weil Gott dem Menschen die Freiheit gibt, eigenständig zu Handeln, greift er eben auch nicht bei schlechten Taten ein, weil würde er eingreifen würde er die Freiheit der Menschen missbrauchen.
    Im falle einer Naturkatastrophe, denke Ich dass das Schicksal eines jeden Menschens bereits 'geschrieben' ist.

    Wir freuen uns auf eine Antwort und hoffen darauf, dass du den Kommentar veröffentlichst.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Der Relikurs der Europaschule Bornheim

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