Deutschland ist nicht der Nabel der Welt

23. September 2013 Gesellschaft, Theologie
von Matija Vudjan
In vielen theologischen Zeitschriften ist am Freitag ein Interview mit Papst Franziskus erschienen, das schon jetzt weltweit, vor allem auch hier in Deutschland, für Furore sorgt. Unter dem Stichwort des Neuen Weges setzt sich der Papst für eine Öffnung der Kirche hin zu geschiedenen Gläubigen und Homosexuellen und plädiert außerdem dafür, Frauen stärker in die Kirche einzubeziehen. Theologisch entscheidend sind aber nicht die Aussagen des Papstes im Interview, sondern die weltweiten Reaktionen darauf.

Zugegeben: das Interview ist – gerade für Außenstehende – „harter Tobak“: Um die vielen Ausführungen des Papstes verstehen zu können, muss man sich vorher intensiv mit der jesuitischen Theologie und Weltsicht auseinandergesetzt haben.

Aber: die zentralen Aussagen im Interview sind klar verständlich. Auch wenn Franziskus keine konkreten Pläne und Vorhaben nennt, macht er dennoch deutlich, dass sich die Kirche gegenüber vielen öffnen muss. Seien es die Homosexuellen, die wiederverheirateten Geschiedenen, oder auch die Frauen: all ihnen möchte der Papst mehr Respekt und Gestaltungsraum in der Kirche ermöglichen.

Diese Aussagen sind, auch wenn sie so klingen, nicht neu. Denn im Katholischen Katechismus ist schon seit Hunderten Jahren vermerkt, dass sich die Kirche nicht anmaßen darf, über bestimmte Menschengruppen und Lebensformen zu urteilen, sondern allen Menschen mit Offenheit und Respekt begegnen muss.

Sprachliche Unterschiede

Ich möchte nicht sagen, dass die Päpste vor Franziskus diese Maxime nicht verfolgten. Aber insbesondere Bendikt XVI. pflegte eine theologische Sprache von solch großer Tiefendimension, dass seine Aussagen über „Andersseiende“ in den Tiefen seiner theologischen Überlegungen oft einfach nicht wahrgenommen wurden.

Franziskus, der ein Theologe der einfachen Worte ist, muss man dennoch zugute tragen, dass er das Thema in einer bisher nie da gewesenen Direktheit anspricht. Er trifft seine Aussagen in einer kurzen und prägnanten Form, die klar verständlich ist und keiner Rückfragen bedürfen.

Aller Einfachheit zum Trotz stellt der Papst aber auch klar: die [oben angesprochenen] Themen sind zwar wichtig, aber für die Zukunft der Gesamtkirche nicht zentral! Was hingegen zentral ist, wird nicht unbedingt im Interview selbst, sondern in den weltweiten Reaktionen darauf deutlich.

Deutschland gegen den Rest der Welt

In Deutschland ist das Papst-Interview sehr gut angekommen, weil viele der Themen offen angesprochen worden sind, die hierzulande schon seit längerer Zeit im öffentlichen Diskurs stehen. In anderen Ländern, unabhängig davon ob in Europa oder in Nord- und Südamerika, wird der Papst für seine Aussagen zwar nicht unbedingt kritisiert, aber wirklich euphorisiert wird er auch nicht. Dies hat tatsächlich historische Gründe.

Tatsache ist, dass Deutschland DAS Land der Reformation ist und wie kein anderes Land dieser Welt von den entsprechenden Folgen betroffen war – und auch heute noch ist. Es ist z. B. im europäischen Vergleich klar erkennbar, dass auch das Katholische Deutschland – und damit auch die Katholische Öffentlichkeit in Deutschland – reformatorisch geprägt sind. Die vom Papst angesprochenen Probleme, die in Deutschland kritisiert werden, sind in der Evangelischen Kirche schon lange Status quo.

Deutschland ist das einzige christlich geprägte Land der Welt, in dem Katholiken und Protestanten in nahezu gleicher Zahl neben- und miteinander leben und so einen engen gegenseitigen Kontakt schnüren. Einen solch intensiven ökumenischen Dialog wie in Deutschland wird man weltweit in keinem anderen Land vorfinden.

Fragen nach dem Zölibat, der Frauenordination oder der Behandlung von wiederverheirateten Geschiedenen stellen sich in anderen Katholisch geprägten Ländern unter anderem auch deswegen nicht. Ich möchte dadurch keineswegs implizieren, dass die deutsche Gesellschaft fortschrittlicher ist als andere es sind. Nein – es geht einfach um das prinzipielle Faktum, dass der Mensch in Deutschland andere Probleme hat als derjenige in Brasilien, und dieser wiederum andere Bedürfnisse empfindet als ein US-Amerikaner.

Die zentrale Frage für die Zukunft der Gesamtkirche lautet deswegen, wie man das Verhältnis von Universalkirche und Ortskirchen bestimmen muss.

Universalkirche gegen Ortskirchen

Im Vatikan bahnt sich in einer zentralen Frage ein Kurswechsel an.
Foto: kodiak – Wikipedia

Im theologischen Diskurs gibt es hier zwei unterschiedliche Positionen: Manche Theologen, darunter auch Papst Benedikt XVI., sind der Auffassung, dass sich die vielen Ortskirchen aus der einen Universalkirche entwickeln. Nach dieser Position hat die Universalkirche ein Primat den Ortskirchen gegenüber. Diese sind also von der Universalkirche und ihren Entscheidungen abhängig. Kurz gesagt: Was im Vatikan entschieden wird, gilt für die gesamte Kirche.

Die andere Position, die der renommierte Theologe und Kardinal Walter Kasper vertritt, und der ich mich anschließe, ist diejenige, dass sich die Universalkirche aus den Ortskirchen herausbildet. Das Primat der Universalkirche bleibt auch hier bestehen, aber in der Einheit ihrer Verschiedenheit bilden die Ortskirchen das Fundament der Universalkirche. In dieser Denkform genießen die Ortskirchen der Universalkirche gegenüber mehr Entscheidungsgewalt.

Mit dem zweiten Modell lässt sich ein Lösungsansatz dafür entwickeln, dass Menschen in den unterschiedlichsten Orten der Welt unterschiedliche Probleme und Bedürfnisse haben sowie unterschiedliche Wünsche und Erwartungen an die Kirche stellen. Denn: was dem Deutschen ein Herzensanliegen ist, ist dem Südamerikaner vollkommen gleichgültig – was an den Reaktionen zum Papst-Interview genau deutlich wird.

* Das Interview mit dem Papst in voller Länge könnt ihr hier nachlesen

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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