Ein Verrat an sich selbst

2. Oktober 2013 Ethik, Theologie
von Matija Vudjan
Gestern ist der letzte Teil der Memoiren von Hans Küng, einem international angesehenen Theologen und Kirchenkritiker, erschienen. Der Tübinger Professor, der seit längerer Zeit schwer krank ist, schreibt in „Erlebte Menschlichkeit“, dass er sich durchaus vorstellen könne, sein Leben durch Sterbehilfe zu beenden, um ein letztes Mal gegen die Amtskirche zu protestieren. Ist aber eine solche Tat Protest an der Kirche? Oder nicht viel mehr Verrat an sich selbst?

Möchte ein letztes Mal seinen Protest gegen die Kirche kundtun: Hans Küng
Foto: UNED – Flickr

Um die Brisanz der Aussagen Küngs zu verdeutlichen, möchte ich zunächst einmal ausgewählte Punkte seiner Biographie nachzeichnen (ein detaillierter Artikel ist in der Wikipedia aufgeführt):

Theologische Kontroversen

Bereits im Alter von 32 Jahren wurde Küng 1960 Professor für Fundamentaltheologie in Tübingen. Er nutzte seine Position auch, für eine Öffnung der Kirche hin zur Moderne zu werben; so setzte er sich schon damals unter anderem für die Abschaffung des Zölibats und die Gleichberechtigung der Frau in der Kirche ein.

Der Schweizer Theologe wurde 1962 von Papst Johannes XXIII. in das 2. Vatikanische Konzil (1962-1965) einberufen. Er schaffte es, sich zusammen mit Joseph Ratzinger (dem er damals noch sehr nahe stand) in die Konzilsdiskussion einzubringen und das aggiornamento, die Öffnung der Kirche hin zur Moderne, entscheidend voranzubringen.

Mit Ratzinger streitet sich Küng schon seit Jahrzehnten um theologische Fragen.
Foto: Landesregierung BW – Flickr

Anfang der 1970er Jahre (zum Bruch mit Ratzinger war es inzwischen gekommen) verfestigte Küng, der inzwischen angesehener Professor war, seine kritischen Positionen gegenüber der Kirche und dem Papstamt. Auf Dialoggesuche des Vatikans ging wiederholt er nicht ein; 1979 wurde ihm nach mehreren Verwarnungen durch die Glaubenkongregation (die in seinen Ausführungen inzwischen eine zu weite Entfernung von der Lehre der Kirche sah) die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen.

Seitdem hat sich Küng vor allem durch zwei zweierlei ausgezeichnet: Zum einen ist er der wohl schärfste Kirchen- und Papstkritiker unserer Zeit. Zum anderen aber hat er durch die Gründung der Stiftung Weltethos, die sich für die Etablierung einer weltweit gültigen, interreligiösen Ethik einsetzt, einen sehr hohen Aneil an der Fortsetzung und Vertiefung des ökumenischen Dialogs geleistet.

Bis heute ist Küng katholisch geblieben

Seit 1979 hat sich aber eine entscheidende Sache nicht geändert: Hans Küng ist immer Katholischer Priester und Theologe geblieben. Er ist weder seitens der katholischen Kirche exkommuniziert worden, noch hat er selbst sein Gelübde als Priester abgelegt und ist aus der Kirche ausgetreten. Grundsätzlich scheint sich Küng also auch heute noch als Katholik zu sehen.

Die Kritik, die er an der Amtskirche äußerte, war nie auf ethische oder soziale Fragen bezogen. Nein, Gegenstand seiner Äußerungen war immer, dass die Kirche auch trotz des 2. Vatikanums nicht modern genug sei und in großen Teilen wieder vorkonziliar auftrete. Die Kritik Küngs richtete sich in fast allen Fällen an die beiden Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sowie die Situation der Römischen Kurie.

Wenn der Schweizer Theologe nun in seinen Memoiren erklärt, er könne sich vorstellen, seinem Leben durch Sterbehilfe ein Ende zu setzen und so ein letztes Mal gegen den Machtapparat der Kirche zu protestieren, dann ist das kein Protest am gegenwärtigen (formalen) Aufbau der Kirche, sondern viel mehr Verrat an sich selbst und an der eigenen Katholizität.

Biblische Tradition ist nicht gleich Amtskirche

Das 5. Gebot Du sollst nicht töten wird in der katholischen Kirche so verstanden, dass das menschliche Leben ein Geschenk Gottes ist. Der Mensch hat dementsprechend nicht das Recht, über das Leben zu entscheiden, bzw. dem Leben ein Ende zu setzen. Sowohl das Leben eines Anderen als auch das eigene.

Die gerade genannte Position ist keine, die von der Amtskirche in den letzten Jahren formuliert worden ist, sondern das Produkt einer langen Entwicklung aus der jüdisch-christlichen Tradition heraus. Neben der Bergpredigt stellen die Zehn Gebote nicht weniger als den Ethikkatalog der Bibel dar – und sind somit konstitutiv für jeden Christen.

Wenn wir davon ausgehen, dass Küng bis heute gläubiger Katholik geblieben ist, müsste es ihm eigentlich höchste Priorität sein, sein eigenes Leben nach den ethischen Maximen der heiligen Schrift auszurichten.
Eine Kritik an der Struktur der Kirche muss meines Ermessens immer willkommen sein, weil sie letztlich dem innerkirchlichen Dialog und somit dem Fortschritt der Kirche dient.

Die Bibel aber ist die schriftliche Grundlage des christlichen Glaubens – Luther führte unter den vier sola auch das sola scriptura auf. Wer sich also gegen eine ethische Maxime der Bibel widersetzt, handelt im Zweifel nicht mehr christlich, nicht mehr katholisch. Setzt Küng sein Vorhaben also wirklich in die Tat um, so verrät er nicht nur seine katholische Identität, sondern wird auch als angesehener Katholischer Theologe unglaubwürdig.

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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