Tridentinische Messe – ein Selbstversuch

24. Februar 2018 Theologie
von Matija Vudjan
Die Feier einer Messe im ‚usus antiquior‘. Symbolfoto: Fr. James Bradley/Flickr; Lizenz: CC BY 2.0

„Als am 4. Dezember 1963 die Bischöfe des [Zweiten Vatikanischen] Konzils die Liturgiekonstitution annahmen, wurde damit im lehramtlichen Selbstverständnis der Kirche das Ende des Mittelalters in der Liturgie besiegelt.“
— Klemens Richter

Die katholische Kirche kennt heute zwei nebeneinander stehende Formen der Eucharistiefeier: Seit dem Motuproprio Summorum Pontificum, das Papst Benedikt XVI. im Jahre 2007 veröffentlichte, ist es in der katholischen Kirche wieder erlaubt, die sogenannte tridentinische Liturgie zu feiern. Diese war eigentlich im Zuge der Liturgiereform und der Einführung des neues Messbuchs 1970 abgelöst worden.

Zwischen der ‚neuen‘ und der ‚alten‘ Liturgie – Papst Benedikt bezeichnet sie als „forma ordinaria“ sowie „forma extraordinaria“ – bestehen, das hat die Liturgiewissenschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten erwiesen, vor allem im Hinblick auf die dahinter stehende Theologie, Unterschiede, die nicht von der Hand zu weisen sind. Mit der jeweiligen Feierform sind grundlegende Fragen des Kirchen- und Amtsverständnisses verbunden; es stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis des Katholizismus zu den anderen christlichen Konfessionen sowie zu anderen Religionen, insbesondere zum Judentum (hier habe ich dies bereits einmal angedeutet).

Besteht hier also ein Widerspruch zwischen Theologie und Praxis? Oder ist der von der Liturgiewissenschaft behauptete Widerspruch zwischen den zwei Feierformen überhaupt keiner? Um das herauszufinden, bin ich vor zwei Wochen zusammen mit einigen Kommilitonen zur Priesterbruderschaft Sankt Petrus nach Recklinghausen gefahren, um eine Eucharistiefeier nach dem tridentinischen Ritus zu besuchen. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.

Vor der Eucharistiefeier

Symbolfoto: Das ausgesetzte Allerheiligste.
Foto: Lawrence OP/Flickr; Lizenz: CC BY-BC-ND 2.0

Etwa 20 Minuten vor Beginn der Eucharistiefeier um 18 Uhr treten wir in die Kirche ein. Dass es sich dabei um ein Provisorium handelt, wird sofort deutlich: Der Kirchenraum ist offenkundig ein nachvatikanischer; der Volksaltar (einen Hochaltar gibt es hier nicht) ist für die Feier im tridentinischen Ritus umgestaltet worden: Der Altar ist von vielen hohen Kerzen geschmückt, außerdem sind einige Ikonen sowie ein großes Kruzifix darauf aufgestellt.

Seit 17 Uhr ist hier das Allerheiligste ausgesetzt – es besteht die Möglichkeit zur eucharistischen Anbetung. Etwa 30 Menschen, vor allem älterer Generation, sind anwesend – beachtlich, es ist ja ein Werktag. Wir Kommilitonen sind die mit Abstand jüngsten Personen im Kirchenraum – zusammen mit dem Priester, wie sich später herausstellen wird.

Der eucharistische Segen zum Abschluss der Anbetung sowie der darauf folgende Lobpreis Gottes unterscheiden sich nicht von der Form, wie man sie aus jedem anderen katholischen Gotteshaus kennt. Die einzige Besonderheit liegt hier einzig in der konsequenten Verwendung der lateinischen Sprache während der gesamten Zeit (das ändert sich auch im weiteren Verlauf des Abends – bis auf wenige Ausnahmen – nicht). Wer den Ablauf und den theologischen Sinngehalt der eucharistischen Anbetung kennt, wird damit aber keine Probleme haben.

Die Eucharistiefeier

Anders verhält es sich mit der Eucharistiefeier, die unmittelbar im Anschluss an die eucharistische Anbetung beginnt: Ein problemloser Mitvollzug der Liturgie, geschweige denn ein tätiges Mitfeiern, ist nun praktisch kaum mehr möglich. Das hat mehrere Gründe.

Wenn der Mitvollzug nicht möglich ist…

In Begleitung von Gesängen des Kantors ist der Zelebrant (zur Überraschung bereits eingekleidet! – normalerweise geschieht die Einkleidung des Zelebranten erst im Altarraum) zusammen mit dem Altardiener zum Altar geschritten und dort im Gebet verharrt – dieses ist für die Gemeinde jedoch faktisch nicht wahrnehmbar. Das ist leider eine Konstante im gesamten Gottesdienst: Der Zelebrant betet die liturgischen Texte leise für sich selbst und abgewandt von der Gemeinde – diese erfährt letztlich nicht, was genau der Priester spricht bzw. wo er sich gerade befindet. Was wir erlebt haben, ist eine vollkommen priesterzentrierte Liturgie, an der die Gemeinde nicht aktiv mitfeiert, sondern der sie nur ‚passiv‘-zuschauend beiwohnt.

Deutlich wird das beim „Confiteor“ (das wir heute als Schuldbekenntnis kennen): der Priester betet es alleine – man erkennt es nur daran, dass er sich drei Mal auf die Brust schlägt. Der begleitende Gesang – inzwischen singt die gesamte Gemeinde – ist hingegen schon beim Kyrie angelangt. Priester und Gemeinde – zwei unterschiedliche Ebenen, voneinander vollkommen unabhängig!

Es bleibt bis zum Ende der Eucharistiefeier so, dass wir zwar anhand der Gesten des Zelebranten sowie der Messgesänge erahnen können, wo wir uns gerade befinden. Von einem aktiven Teilnehmen am Gottesdienst, geschweige denn einem wirklichen Mitvollzug, kann aber bei bestem Willen keine Rede sein.

…und die Messe mittendrin unterbrochen wird

Der Vortrag der biblischen Lesung – ohne Mikrofon. Symbolfoto: Lawrence OP/Flickr; Lizenz: CC BY-NC 2.0

Nur an zwei Zeitpunkten wendet sich der Zelebrant der Gemeinde zu: während der Lesungen sowie während der Ankündigungen. Während der Lesung stellt sich heraus, dass das Mikrofon des Priesters nicht funktioniert – welche Lesung also vorgetragen wird, ist letztlich nicht hörbar. Immerhin verlässt der Priester darauf seinen Platz am Altar und verkündet das Evangelium vom Ambo (und einem funktionierenden Mikrofon) aus. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass beide Lesungen – auch wenn erstere akustisch nicht zu verstehen gewesen ist – in deutscher Sprache vorgetragen werden.

Nach dem Evangelium bleibt der Zelebrant am Ambo stehen. Nicht, um eine Predigt zu halten, sondern um Ankündigungen aus der Gemeinde vorzutragen (!). Was hier geschieht, ist faktisch nichts anderes als ein Abbruch der Liturgie – und gleichzeitig ‚konsequent‘ tridentinisch, hat man doch immer unterschieden zwischen „Vormesse“ und „Messopfer“. Ich bin während der Eucharistiefeier mehrere Male irritiert gewesen, aber hier bin so sehr aus meiner persönlichen ‚Bahn‘ geworfen, dass es dauert, bis ich mich wieder auf die Messfeier konzentrieren kann.

Letztlich ist das Vortragen der Ankündigungen unmittelbar nach dem Evangelium ein Zeichen der mangelnden Wertschätzung des Wortes Gottes im tridentinischen Ritus. Zum Schluss des Gottesdienstes wird genau diese ein weiteres Mal deutlich: Nach dem Schlusssegen betet der Zelebrant das Schlussevangelium (den Johannesprolog, der den Abschluss jeder Eucharistiefeier im tridentinischen Ritus markiert). Natürlich wieder leise und nur für sich selbst. Vorgetragen wird es leider nicht – als ginge es nur den Zelebranten etwas an.

Was positiv in Erinnerung bleibt

Bei allen Irritationen möchte ich nicht unterschlagen, dass es auch Augenblicke gegeben hat, die mich sehr positiv gestimmt, teilweise sogar überrascht haben. Dass das gesamte Ordinarium (Kyrie, Gloria, Sanctus und Agnus Dei) gesungen worden ist, noch dazu in der Missa de Angelis, der wahrscheinlich schönsten gregorianischen Messvertonung, geschieht heute, auch wenn es eigentlich rite et recte ist, heute nicht mehr in jeder Eucharistiefeier. Als intensive und zutiefst berührende Zeichenhandlung habe ich es zudem empfunden, unmittelbar vor dem Kommunionempfang mit dem Leib Christi gesegnet zu werden – der Moment der Begegnung mit dem Herrn im Altarsakrament hat dadurch – für mich persönlich – eine zusätzliche, besondere Würde erhalten.

Persönlich habe ich die Stille während des Gottesdienstes als sehr bereichernd empfunden (wobei wir Kommilitonen dazu nach dem Gottesdienst eine unterschiedliche Einschätzung gehabt haben). Gleichwohl muss man einschränken, dass diese Stille keineswegs eine liturgische gewesen ist, sondern vielmehr eine aliturgische, entsteht sie doch nicht aus der Liturgie selbst, sondern ist vielmehr Produkt des mangelnden Einbezugs der Gemeinde in das gottesdienstliche Handeln.

Fazit

Ich bin ein Kind des Zweiten Vatikanums und der nachvatikanischen Liturgie. Das wird sich nach dem Besuch der Hl. Messe in der „forma extraordinaria“ nicht ändern – im Gegenteil: mir ist deutlicher als ohnehin schon bewusst geworden, dass die gegenwärtige Liturgie die Vorgaben der Liturgiekonstitution am besten umsetzt. Die theologischen Vorbehalte, die gegen die tridentinische Liturgie immer wieder angebracht werden, haben sich bestätigt: die völlige Zentrierung auf den Priester, die beinahe vollständige Relaltivierung des Subjekts als Träger der Liturgie und die mangelnde Wertschätzung des Wortes Gottes, um nur drei (zentrale) Punkte zu nennen.

Gleichwohl muss ich mir – bei allen Irritationen – aber auch eingestehen, dass ich der von manchen Theologen vertretenen These, zwischen der tridentinischen und der nachvatikanischen Liturgie gebe es einen Bruch, den man nicht mehr kitten könne, nicht weiter zustimmen kann. Ohne Frage haben beide Formen unterschiedliche theologische Fundierungen (das sollte bis hierhin deutlich geworden sein) und haben unterschiedliche Stoßrichtungen. Dass es aber auch Gemeinsamkeiten gibt, kann nicht von der Hand gewiesen werden.

Die tridentinische Messe kann – in aller Kürze – als eine andauernde Anbetung beschrieben werden, während die nachvatikanische Liturgie ihren Sinngehalt in der vergegenwärtigenden Feier des Paschamysteriums durch die Communio hat. Dennoch sehe und verstehe ich nach diesem Gottesdienstbesuch beide Formen als Liturgie der einen Kirche. Insofern stimme ich Papst Benedikt XVI. zu, der seinerzeit davon sprach, die „forma ordinaria“ sowie die „forma extraordinaria“ seien zwei Formen des einen Römischen Ritus. Mit anderen Worten: Für mich ist während des Gottesdienstbesuches immer klar gewesen, dass ich mich hier – trotz allem – in einem römisch-katholischen Gottesdienst befinde.

Ich gebe zu, dass diese Einschätzung dadurch begünstigt ist, dass ich zum einen regelmäßig (d. h. mehrmals in der Woche) Gottesdienst feiere und dass ich auf dem Gebiet der Liturgiewissenschaft gut bewandert bin. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass eine theologisch weniger gebildete Person zu deutlich anderen Einschätzungen kommen könnte. Festzuhalten möchte ich aber dennoch: Es scheint mir der falsche Weg zu sein, die tridentinische Messe von vornherein zu verteufeln.

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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