Monotheistische Religionen als Brandstifter?
Der Religionswissenschaftler und Ägyptologe Jan Assmann hat die These vertreten, dass es eine ursächliche Verknüpfung gibt zwischen Gewalt und Krieg sowie dem Wahrheits- und Machtanspruch von monotheistischen Religionen. Man könne – so die Argumentation – kultur- und religionsgeschichtlich feststellen, dass das Phänomen des Monotheismus in dezidierter Form erstmals etwa im 9. Jahrhundert v. Chr. aufgetreten sei. Damit sei dann im Folgenden auch die Ausbildung eines politischen Machtanspruches verbunden: Es gelte, Andersgläubigen den Glauben an den einen Gott „aufzuzwingen“. Ein polytheistisches Glaubenskonzept sei gegen solche Machtansprüche immun, weil es erlaube, andere Götter neben den eigenen anzuerkennen.
Vom Wesen des Monotheismus
Diese (hier in aller Kürze dargestellte) These ist eine sehr gewagte, denn sie vollzieht einen zweifachen Fehler: Erstens impliziert sie, dass polytheistische Religionen oder Systeme immun gegen politische Machtansprüche seien; dies ist jedoch – mit Blick auf die politischen Gegebenheiten schon weit vor der Entstehung des Monotheismus – als falsch zu bezeichnen. Zweitens impliziert sie, dass seit der Entstehung des Monotheismus jeder einzelne Krieg religiös motiviert bzw. legitimiert gewesen sein müsse; ein Implikat, das gerade angesichts der jüngeren Vergangenheit unbedingt zurückgewiesen werden muss.Vom Wesen des MonotheismusTrotz seiner problematischen These macht Jan Assmann auf eine grundlegende – und für unsere Frage wichtige – Wesenseigenschaft des Monotheismus aufmerksam: Dieser lebt von der Vorstellung, dass es nur einen Gott gibt! Gerade die drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam verstehen diese Botschaft als eine grundlegende. So heißt es beispielsweise im Sch’ma Jisrael, dem jüdischen Glaubensbekenntnis:
„Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig.“
– (Dtn 6,4)
Auch das christliche („Wir glauben an den einen Gott, […]“, nach dem Nicäno-Konstantinopolitanum) sowie das muslimische Glaubensbekenntnis („Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt […]“) sind von diesem Bild geleitet, wenn auch mit einer anderen Schwerpunktsetzung.Belässt man es bei dieser Annäherung, kommt man nicht umhin, in Jan Assmanns Begründung, der Monotheismus zeige sich grundsätzlich offen(er) für Gewalt – unabhängig von allen empirisch feststellbaren Widersprüchen –, einen wahren Kern zu sehen. Ausgehend von einem strengen Monotheismus, wie ihn alle drei genannten Religionen praktizieren, ist es doch geradezu eine logische Konsequenz, Andersgläubige der Wahrheit des eigenen Glaubens zu überzeugen. Insbesondere dann, wenn beispielsweise grundlegende Schriftzitate andere Religionen als defizitär darstellen. Auf Seiten des Christentums fällt mir dabei der folgende Satz Jesu ein:
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“
– Joh 14,6
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Wiener Erzbischof Kard. Christoph Schönborn erst kürzlich in einem Interview sagte:
„Natürlich würde ich mir als Christ wünschen, dass der Nahe Osten wieder christlich wird, wie er es einmal war, oder Nordafrika. Nordafrika war zur Gänze christianisiert. […] So kann ich den Muslimen auch nicht verargen, wenn sie sich wünschen, dass Europa islamisch wird. […] Dass Religionen miteinander in Konkurrenz stehen, das ist so alt wie die Welt.“
– Quelle: krone.at. Hervorhebung durch mich.
Monotheistische Konkurrenz? Mitnichten!
So sehr ich Kardinal Schönborn persönlich auch zustimmen mag, muss ich feststellen: Jan Assmann wird sich durch die Worte des Kardinals mit ziemlicher Sicherheit in seiner Position bestätigt sehen. Wo Konkurrenz ist, da ist ein friedliches Nebeneinander, geschweige denn Miteinander, auf lange Sicht schwer aufrecht zu erhalten. Zumal Konkurrenz nicht dauerhaft eine friedliche sein muss, sondern sehr wohl auch ausarten kann. Gerade das hat die Geschichte – leider Gottes – immer wieder gezeigt. Bisweilen zeigt sie dies noch heute.
Die Lehre der katholischen Kirche
Die offiziellen Positionen der Religionen sehen, auch wenn – Kardinal Schöborns Ausführungen verdeutlichen das – oft ein anderer Eindruck entsteht, (inzwischen) tatsächlich anders aus. Die Katholische Kirche hat sich im II. Vatikanischen Konzil dazu durchgerungen, die Religionsfreiheit als ein allgemeines Menschenrecht zu deklarieren (vgl. dazu die Erklärung Dignitatis Humanae). In einem weiteren Schritt hat sie in der Erklärung Nostra Aetate ihr Verhältnis zu den anderen Religionen neu bestimmt.
Gerade im Blick auf das Judentum und den Islam (aber auch auf andere Religionen grundsätzlich) wird dabei deutlich: Von einem kirchlichen Missionierungsanspruch kann hier keine Rede mehr sein! Vielmehr tragend ist die Erkenntnis, dass Christen mit Juden und Muslimen gemeinsam den einen Gott anbeten, wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise bzw. Ausprägung. Faktisch, so die hinter Nostra Aetate stehende These, gibt es für die Kirche keinen ‚Bedarf‘ zu missionieren. Nicht umsonst spricht man theologisch heute nicht mehr von Mission, sondern von „Neuevangelisierung“.
Grundlegende muslimische Aussagen
Wenn man das Verhältnis zwischen Islam und Christen- bzw. Judentum religionsgeschichtlich betrachtet, kommt man für den Islam – soweit meine persönliche Einschätzung – zu einer ähnlichen Schlussfolgerung. Im Islam gilt Polylatrie, d. h. die Verehrung von mehreren Gottheiten, als die größtmögliche Sünde. So heißt es beispielsweise im Koran:
„Wahrlich, Allah wird es nicht vergeben, daß Ihm Götter zur Seite gestellt werden: doch Er vergibt, was geringer ist als dies, wem Er will. Und wer Allah Götter zur Seite stellt, der ist in der Tat weit irregegangen.“
– Sure 4, Vers 116
Juden und Christen, die wie Muslime nur einen Gott anbeten, werden im Koran hingegen als sogenannte „Schriftbesitzer“ bezeichnet; sie gelten (unter bestimmten Bedingungen) als Schutzbefohlene und dürfen nicht unter Zwang missioniert werden. Das wiederum scheint mir eine Parallele zum ‚katholischen Weg‘: Weil die Schriftbesitzer bereits an den einen Gott glauben, können sie nicht mehr missioniert werden. Der Islam kann – wenn man diesen Gedanken zuende denkt – für sich dann nicht mehr den Anspruch erheben, eine bessere religiöse Alternative zu sein. Er kann nur noch für sich ‚werben‘ als eine gleichwertige, eine andere Alternative.
Was heißt das für das Ruhrgebiet?
Wenn wir die soeben erörterten Ausführungen zusammenfassen, können wir feststellen, dass sowohl die Behauptung der WAZ, das Zusammenleben von vielen Religionen an einen Ort bleibe langfristig nicht ungefährlich, als auch die These von Jan Assmann, dass monotheistische Religionen grundsätzlich der Gewalt frönen, aus theologischer Sicht nicht haltbar sind. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hat vor kurzem sogar davon gesprochen, dass jede Religion ein genuines Friedenspotential habe. Gewalt könne niemals religiös begründet werden, wenngleich Legitimationsmuster häufig religiöse seien (siehe hier).
Deutlich wird also: Das Problem, mit dem wir uns beschäftigen, ist kein genuin theologisches, zumindest, solange Religionen die Wertschätzung anderen Religionen gegenüber als zentraler Bestandteil der je eigenen Religion vermitteln können. Hier ist ohne Zweifel die Theologie gefragt.
Ich habe es eingangs bereits angedeutet: Die Behauptung, das Zusammenleben vieler Religionen im Ruhrgebiet sei – zugespitzt formuliert – eine tickende Zeitbombe, wie sie in der WAZ impliziert wurde, halte ich für sehr steil. Gerade im Ruhrgebiet wird doch deutlich, dass das nicht der Fall ist! Im Gegenteil: Hier zeigt sich inzwischen seit Jahrzehnten, dass verschiedene Religionsgemeinschaften auf engstem Raum nicht nur neben-, sondern sogar miteinander leben können!
Und dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es in einem Ballungsraum wie dem Ruhrgebiet Spannungen gibt. Hier, wo der Säkularisierungsprozess schon weit vorangeschritten und der Strukturwandel bis heute nicht abschließend vollzogen ist, scheinen mir vor allem soziologische Probleme entscheidend zu sein. Das soll die Religionen nicht davon freisprechen, an einer gesellschaftlichen Entwicklung unbeteiligt zu sein – im Gegenteil! Aber eines ist klar: Den Religionen den ‚schwarzen Peter‘ für eine problematische Entschwicklung zuzuschieben, ist der falsche Weg.
Falls es von eurer Seite Ergänzungen zu diesem Thema gibt – gerne auch zur islamischen Perspektive –, freue ich mich über einen Kommentar!
Vor zwei Jahren hat Jan Assmann das Buch „Exodus. Die Revolution der Alten Welt“ veröffentlicht, in dem seine These sehr viel ausführlicher dargestellt wird. Ein Buch, das trotz aller Kritik zum Mit- und Nachdenken anregt. Im Deutschlandfunk ist eine ausführliche Rezension zu diesem Buch erschienen.
Lieber Matija,
auf eine Stelle möchte ich gerne eingehen:
"Juden und Christen, die wie Muslime nur einen Gott anbeten, werden im Koran hingegen als sogenannte „Schriftbesitzer“ bezeichnet; sie gelten (unter bestimmten Bedingungen) als Schutzbefohlene und dürfen nicht unter Zwang missioniert werden. Das wiederum scheint mir eine Parallele zum ‚katholischen Weg‘: Weil die Schriftbesitzer bereits an den einen Gott glauben, können sie nicht mehr missioniert werden. Der Islam kann – wenn man diesen Gedanken zuende denkt – für sich dann nicht mehr den Anspruch erheben, eine bessere religiöse Alternative zu sein. Er kann nur noch für sich ‚werben‘ als eine gleichwertige, eine andere Alternative."
Dass Juden und Christen im Koran als Schriftbesitzer (dhimmi) bezeichnet werdenm ist korrekt. Auch wird ihre übergeordnete Stellung über Polytheisten betont.
Missionarischer Zwang ist dann nicht möglich, dies bezieht sich vor allem auf Gebiete unter islamischer Herrschaft, in denen Juden und Christen leben.
Allerdings ist der Schluss, dass diese nicht mehr missioniert werden können oder sollten, meiner Meinung nach nicht ganz richtig. Denn schließlich sieht sich der Islam in gewisser Weise als Vollendung, vielleicht sogar als "Berichtigung" der anderen monotheistischen Religionen. Denn so sehr auch das einende zwischen Juden. Christen und Muslimen im Koran hervorgehoben wird, genau so klar wird "die andere Art und Weise" der Verehrung Gottes abgelehnt. Als Beispiel sei hier auf die Stellen verwiesen, an denen ausdrücklich die vorstellung eines dreifaltigen Gottes abgelehnt wird (vgl. Sure 5,Vers 72-73).
Daher ist auch eine Missionierung im Islam stark vertreten. Viele sogenannte "Da´wa"-Bewegungen setzen hier ihren Schwerpunkt. Obgleich man den Begriff im europäischen Kontext oft mit salafistischen Bewegungen in verbindung bringt, ist er doch in einem viel größeren Kontext Status quo.
Ich wollte diesen Part deiner Analyse einfach – meiner Meinung nach – etwas klarer einordnen.
Zum Islam bzw. Islamverständnis und seinen "Chancen" und "Risiken" in Deutschland möchte ich an dieser Stelle vor allem auf die Arbeiten von Mouhanad Khorchide, Islamwissenschaftler in Münster, und Ahmad Mansour, Psychologe und Autor in Berlin, verweisen.
LG Marius
Lieber Marius, herzlichen Dank für die ausführliche Ergänzuung zum Islam! Ich habe es im Beitrag geschrieben: Was ich zum Islam schreibe, sind meine persönlichen Einschätzungen, ausgehend von meinen Kenntnissen des Islams – die zugegebenermaßen größer sein könnten. Meine Einschätzung ist aber zumindest insofern auch historisch begründet, als dass Christen u. a. im osmanischen Reich einen sehr hohen Schutz genossen haben.
Dass es auch anderweitige Bewegungen gibt, stimmt natürlich, da hast du Recht. Aber das gilt – abseits der lehramtlichen Position – auch für das Christentum und das Judentum, wie ja die Aussagen von Kardinal Schönborn verdeutlichen.
Ich merke, zu dem Thema könnte man noch einiges schreiben 😉
Herzliche Grüße
Matija