Warum es richtig war, Weihnachten zu feiern

28. Dezember 2016 Gesellschaft, Theologie
von Matija Vudjan
Original-Foto: Markus Grossalber/Flickr; Lizenz: CC BY 2.0

Die Weihnachtsfeiertage sind vorbei – und wir haben (beinahe) selbstverständlich Weihnachten gefeiert. Dass dies in diesem Jahr alles andere als selbstverständlich gewesen ist, haben die Reaktionen auf den Terrorangriff in Berlin gezeigt: Es gab einige Stimmen, die meinen, es sei angesichts angesichts eines barbarischen Angriffes auf unsere Gesellschaft pietätlos, Weihnachten so zu feiern, als sei in Berlin nichts geschehen. Ich möchte heute zeigen: Es war richtig und konsequent, Weihnachten zu feiern!

Gelebte Anteilnahme auf dem Weihnachtsmarkt

Drei Tage nach dem Attentat ist der Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz wieder geöffnet worden – und seitdem zu einem Besuchermagneten geworden. Spiegel-Online berichtet, dass es auf dem Weihnachtsmarkt einen „starken Besucherandrang“ gegeben habe. Sehen sich in dieser Meldung viele Mahner nicht geradezu bestätigt? Kann man das alt-bekannte „the show must go on“ moralisch rechtfertigen angesichts von zwölf Toten und 48 (teilweise schwer) Verletzten?

Spiegel-Online führt zu dieser Frage – mit Bezug auf Klaus-Jürgen Meier, einen Verantwortlichen der Stadt Berlin – folgendes aus:

„‚Es herrscht eine besinnliche Stimmung. Und die Anteilnahme nimmt immer mehr zu.‘ Die Flächen mit Kerzen, Blumen und Karten, die Besucher in Trauer für die Opfer des Anschlags vom Montag hinterlassen, würden immer größer. […] Meier berichtete auch ‚von einer großen Welle der Hilfsbereitschaft‘. Nach vielen Nachfragen von den Standbetreibern und Besuchern ist inzwischen ein Spendenkonto für Opfer und Angehörige eingerichtet worden.“
– Quelle: Spiegel-Online

Am Tag nach dem Attentat: Viele Blumen und Kerzen sind am Breitscheidplatz niedergelegt worden
Foto: Andreas Trojak/Flickr; Lizenz: CC BY 2.0

Die Ausführungen von Klaus-Jürgen Meier verdeutlichen, dass es die einzig richtige Entscheidung war, den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz nach dem Terrorangriff wieder zu öffnen. Ein geschlossener Weihnachtsmarkt – diese Option wurde ja durchaus diskutiert – hätte keinen Raum für eine Solidarisierung der Bevölkerung mit den Opfern des Anschlags geboten. Die Menschen in Berlin haben aber sehr sensibel auf die Ausnahmesituation reagiert haben. Von einem „the show must go on“ kann hier keine Rede sein, vielmehr von gelebter Anteilnahme! Zumal ein geschlossener Weihnachtsmarkt gleichbedeutend mit dem Eingeständnis der Niederlage gegen den Terrorismus gewesen wäre – der Attentäter hätte also sein eigentliches Ziel erreicht: einen Keil in die Gesellschaft treiben und sie zu verängstigen.

Biblisch-liturgische Perspektiven

Auch im Sinne der biblischen Fundierung des Weihnachtsfestes sowie seiner christlichen Ausgestaltung in der Weihnachtsliturgie muss man festhalten, dass es fatal gewesen wäre, den Berliner Weihnachtsmarkt nach dem Terroranschlag zu schließen. (Eine Anmerkung: Natürlich sind Weihnachtsmärkte nicht im eigentlichen Sinne christlich fundiert, aber da sie aus unserer Weihnachtskultur entstanden und in ihr gewachsen sind, erachte ich die folgenden Überlegungen als notwendig.)

Die Botschaft der Bibel

Der Blick in das Lukas- und Matthäusevangelium, die beide – in unterschiedlicher Ausführung – die Weihnachtsgeschichte erzählen, verdeutlicht: Im Kind von Betlehem ist der Sohn Gottes geboren. Er kommt allerdings nicht wie ein gefeierter König auf die Erde. Im Gegenteil: Der Evangelist Lukas berichtet uns, dass Jesus in einem Stall geboren wird, weil es in der Herbergen Betlehems keinen Platz mehr gegeben hat. Ein kalter Stall außerhalb der Stadt – und damit auch außerhalb der Gesellschaft – ist als Geburtsort eines Königs schlichtweg unwürdig. Genau das ist aber das ‚Programm‘ der Geburt Jesu.

Die bewusst schlicht gehaltene Weihnachtskrippe in der römischen Kirche Santi Marcellino e Pietro al Laterano.
Foto: Dguendel/Wikimedia Commons; Lizenz: CC BY 3.0

So wie Gott außerhalb der Gesellschaft in die Welt hinabsteigt, so wendet er sich gerade denjenigen zu, die von dieser Gesellschaft ausgeschlossen sind. Gerade deswegen wird Jesus später in der Bergpredigt (die ebenfalls als programmatisch gilt) verkünden: „Selig, die arm sind vor Gott, den ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3).

Diese Zuwendung Gottes zu den Menschen als Programm der Geburt Jesu wird sodann noch deutlicher, wenn man weiter in der lukanischen Weihnachtsgeschichte liest. Lukas berichtet, dass es die Hirten von Betlehem sind, die das neugeborene Jesuskind zuerst sehen. In der israelischen Gesellschaft dieser Zeit zählten Hirten zur niedrigsten sozialen Schicht – nicht selten lebten sie außerhalb der Stadtgesellschaft. Eben diese Hirten sind es, die die frohe Botschaft von der Geburt Jesu erfahren. Man könnte sagen: Gott wendet sich den Niedrigsten unter den Menschen zu, indem er in Jesus Christus selbst einer von ihnen wird.

Ein Blick in die Weihnachtsliturgie

Diese in der Bibel aufgemachte ‚Theologie von Weihnachten‘ wird in der Liturgie dezidiert aufgegriffen und sogar weitergeführt. Man kann sagen: Die Liturgie fixiert den Blick von der Krippe aus hin zum Kreuzesgeschehen. In der Heiligen Nacht wird natürlich das Evangelium von der Geburt Jesu (LK 2,1-14) vorgetragen. Zugleich hört der Kirchgänger in der Christmette aber auch einen Abschnitt aus dem Titusbrief, in dem der Apostel Paulus folgende Worte formuliert:

„Er hat sich für uns hingegeben, um uns von aller Schuld zu erlösen und sich ein reines Volk zu schaffen, das ihm als sein besonderes Eigentum gehört und voll Eifer danach strebt, das Gute zu tun.“
– Tit 2,14

Dieses vermeintliche Gegeneinander von Geburt und Tod Jesu wird auch in den Gebeten der Weihnachtsliturgie aufgegriffen. Als ein Beispiel unter vielen sei an dieser Stelle das Schlussgebet in der Christmette genannt:

„Herr, unser Gott,
in der Freude über die Geburt unseres Erlösers bitten wir dich:
Gib uns die Gnade, ihm unser ganzes Leben zu weihen, damit wir einst Anteil erhalten an der ewigen Herrlichkeit deines Sohnes,
der mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Amen.“

Die Liturgie bleibt an Weihnachten also nicht an der Krippe stehen. Im Gegenteil: Sie geht sogar deutlich darüber hinaus, indem sie den Bogen spannt bis hin zum Kreuz und zur Auferstehung. Weihnachten ist in liturgischer Perspektive also nicht nur das freudige Fest der Geburt Jesu, sondern schon der Beginn der Passion, die im Tod des Sohnes Gottes gipfelt.

Rembrandt van Rijn: Die Steinigung des Stephanus (1625).
Abbild: gemeinfrei

Dass die Geburt Jesu nicht nur Konsequenzen für Jesus selbst hat, sondern für jeden einzelnen Menschen von Belang ist, verdeutlicht ein Blick in den liturgischen Kalender. Eigentlich könnte man davon ausgehen, dass ein so bedeutendes Ereignis wie die Geburt Jesu über einen längeren Zeitraum gefeiert wird (nicht umsonst gibt es ja auch zwei Weihnachtsfeiertage). Tatsächlich aber lenkt die Liturgie bereits am zweiten Weihnachtsfeiertag (26. Dezember) den Blick weg von der Freude über das Jesuskind. Nun geht es plötzlich um Stephanus, einen Diakon der Jerusalemer Urgemeinde, der als erster wegen seines Glaubens an den auferstandenen Christus gesteinigt wird. Am 28. Dezember, also am dritten Tage nach Weihnachten, gedenkt die Kirche der unschuldigen Kinder, derjenigen Kinder also, die König Herodes aus Angst, dass er seinen Thron verlieren werde, töten ließ. So stehen in der gesamten ersten Weihnachtswoche verschiedene Märtyrer im Blickpunkt. Die Liturgie zeigt uns damit auf: Weihnachten bleibt nicht an der Krippe stehen. Im Gegenteil: Weihnachten ruft radikal zur Nachfolge Jesu auf!

Zusammenfassung: Warum es also richtig war, Weihnachten zu feiern

Natürlich geht es um zwei unterschiedliche Dimensionen von Weihnachten, wenn man sich auf der einen Seite mit dem Berliner Weihnachtsmarkt als einer ganz profanen AUSFORMULIERUNG des Festes beschäftigt, und man auf der anderen Seite nach den Ursprüngen dieses christlichen Hochfestes fragt. Und doch hängen diese beiden Dimensionen unweigerlich zusammen, wie ich bereits zu verdeutlichen versucht habe: Weihnachtsmärkte sind aus der christlich gewachsenen Kultur von Weihnachten heraus entstanden. Kirchliches und profanes Weihnachten sind also nicht einfach voneinander zu trennen, sondern sie stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander.

Insofern ist die Antwort auf die Frage, ob es nach dem Berliner Terroranschlag moralisch legitim sei, Weihnachten zu feiern, eine doppelte: Ja, es war richtig, den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz wieder zu öffnen, um den Terrorismus nicht siegen zu lassen; und ja, es war vollkommen richtig und konsequent, in diesem Jahr auch das christliche Weihnachtsfest zu begehen! Weihnachten nicht zu feiern hieße, die Zuwendung Gottes zu den Menschen – und insbesondere zu den Armen und Ausgegrenzten – zu ignorieren. Weihnachten nicht zu feiern wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Vergessen der Opfer vom Berliner Weihnachtsmarkt. Wer Weihnachten auch in seinem christlichen Sinne ernst nimmt, musste es in diesem Jahr umso bewusster und überzeugter feiern!

Vor diesem Hintergrund wünsche ich euch noch einmal von Herzen
ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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