Entgleisung im Kaukasus

3. Oktober 2016 Gesellschaft
von Matija Vudjan
Papst Franziskus ist heute von seiner Auslandsreise in den Kaukasus zurückgekehrt. Gestern besuchte er Aserbaidschan, in den zwei Tagen zuvor war er in Georgien. In beiden Ländern hat der Besuch keine besonders positiven Resonanzen ausgelöst. Leider zeigte sich auch Franziskus nicht von seiner besten Seite: Er behauptete allen Ernstes, es gebe „heute einen Weltkrieg, um die Ehe zu zerstören“!

Papst Franziskus.
Foto: Catholic Church of England and Wales/Flickr; Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

Folgendes ist geschehen: Angesichts seines Besuches in Georgien, der allen ökumenischen Bemühungen zum Trotz natürlich auch der katholischen Gemeinde vor Ort galt, veranstaltete der Papst am Samstag in einer der zwei katholischen Kirchen in der georgischen Hauptstadt Tiflis eine Audienz. Dort machte eine Frau auf das Thema der interkonfessionellen katholisch-orthodoxen Ehen und die besonderen Herausforderungen, wenn diese Ehen scheitern, aufmerksam. Die Antwort der Heiligen Vaters wird bei Radio Vatikan folgendermaßen zitiert:

 

„‚Die Ehe ist das Schönste, das Gott geschaffen hat.‘ Mann und Frau zusammen seien nach dem Zeugnis des Buches Genesis ‚als Ebenbild Gottes geschaffen‘ worden. Er [= Papst Franziskus; MV] wisse, wie viele Schwierigkeiten es in einer Ehe geben könne; doch wer sich von seinem Partner scheiden lasse, der verletze in gewisser Weise Gott selbst, denn Gott habe doch das Zueinander von Mann und Frau als sein Ebenbild gewollt.

[…]

‚Der große Feind der Ehe ist die Gendertheorie. Es gibt heute einen Weltkrieg, um die Ehe zu zerstören. Er wird nicht mit Waffen geführt, sondern durch ideologische Kolonisierung. Darum ist es wichtig, die Ehe vor diesen Kolonisierungen zu verteidigen!‘“

– Quelle: Radio Vatikan. Hervorhebung durch mich.

Ich möchte ehrlich sein: Ich konnte gestern Abend nicht glauben, was ich gerade lese – und ehrlich gesagt ist mir jetzt, wo ich diesen Beitrag schreibe, immer noch überhaupt nicht klar, welcher Teufel den Papst bei dieser Aussage geritten hat was sich Franziskus bei dieser Aussage gedacht hat! Keine Frage: Das Sakrament der Ehe hat heute bei weitem nicht mehr die Bedeutung und Aussagekraft wie noch vor etwa 100 Jahren. Und auch das klassische Geschlechtermodell ‚Mann–Frau‘ wird heute in vielerlei Hinsicht angefragt. Das mag für viele Katholiken ein schmerzhafter Prozess sein. Aber deswegen davon zu sprechen, dass ein Krieg – noch dazu ein Weltkrieg! – gegen die Ehe geführt werde, ist meines Erachtens höchst befremdlich!

Ein Blick in die Geschichtsbücher oder in den aktuellen politischen Weltatlas reicht aus, um zu verstehen, wie grundfalsch die Behauptung des Papstes ist! Wenn man sich vor Augen führt, dass der 30-jährige Krieg mindestens 16 Millionen Opfer forderte und damit mehr als ein Drittel der Bevölkerung im Hl. Römischen Reich Deutscher Nationen auslöschte, wenn man sich vergegenwärtigt, dass im 1. Weltkrieg 17 Millionen Menschen – darunter sieben Millionen Zivilisten –starben, wenn man darüber nachdenkt, dass die Nationalsozialisten 6,3 Millionen Juden systematisch vernichteten, dann ist es einfach nur schändlich – und den Opfern gegenüber vollkommen unangemessen –, einen vermeintlichen Weltkrieg gegen die Ehe zu stilisieren!

Symbolbild: Das zerstörte Aleppo im vergangenen Jahr.
Foto: Jordi Bernabeu Farrús/Flickr; Lizenz: CC BY 2.0

Laut der UNO-Flüchtlingshilfe befinden sich heute (Stand 2015) 65,3 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht – so viele wie noch nie zuvor (Quelle: s. hier). Dass diese Flüchtlinge ihr Heim und (fast) ihr gesamtes Hab und Gut nicht verlassen und sich in eine ungewisse Zukunft begeben, weil ein Weltkrieg gegen die Ehe geführt wird, sondern, weil sie tatsächlich um ihr Leben fürchten müssen, verdeutlicht umso mehr, wie problematisch die Aussage des Papstes ist. Wer aktuelle Bilder aus Aleppo sieht, wird dies nicht leugnen können!

Nun ist ja mehrfach darüber berichtet worden, dass die Rahmenbedingungen der Papstbesuches in Georgien nicht einfach gewesen sind: Vielerorts ist der Papst auf Ablehnung gestoßen, teilweise wurde er sogar offen angefeindet (siehe z. B. hier und hier). Einige Beobachter vermuten deswegen, dass die drastischen Worte in Bezug auf die Ehe als ein „Angebot“ Franziskus‘ an die georgische Orthodoxie zu verstehen ist, die bekanntlich als besonders konservativ gilt.

Ob dem tatsächlich so ist, wird nur der Papst selbst wissen. Tatsache ist, dass er seine Behauptung vom „Weltkrieg gegen die Ehe“ auf der ‚fliegenden Pressekonferenz‘ während der Rückreise nach Rom wiederholt hat (siehe hier). Es handelt sich dabei also nicht um ein ‚Fettnäpfchen‘, in das Franziskus hineingetreten ist, oder um fehlendes Fingerspitzengefühl. Umso mehr muss diese Aussage entschieden zurückgewiesen werden!

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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