„Tendenziell schismatisch“

29. September 2016 Theologie
von Matija Vudjan

Vor einiger Zeit ist auf katholisch.de ein Interview mit dem konservativen (und als papstkritisch geltenden) US-Kardinal Raymond Leo Burke wiedergegeben worden. Darin betont der Kardinal, dass er sich – entgegen anders lautender Vorwürfe – nicht als Papstgegner sehe. Ganz im Gegenteil: „Wörtlich sagt er: ‚Ich werde die katholische Kirche niemals verlassen‘. Egal was passiere, er wolle als Angehöriger der römisch-katholischen Kirche sterben. ‚Ich werde nie Teil eines Schismas sein‘.“ Ich möchte schon zu Beginn des heutigen Beitrages ehrlich sein: Ich halte diesen Satz zumindest für anfragbar!

Was ist ein Schisma?

Raymond Leo Kardinal Burke.
Foto: John Briody/Flickr; Lizenz: CC BY-ND 2.0

Wenn man sich nämlich die (vor allem jüngere) Wirkungsgeschichte des Raymond Leo Burke vor Augen führt – dazu gleich mehr –, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob man Burke unterstellen kann, dass seine theologischen und kirchenpolitischen Positionen zumindest schismatische Tendenzen innehaben, wenn nicht sogar nachweislich schismatisch sind.

Ein Definitionsversuch

Um dieser Frage nachzugehen, bedarf es zunächst einer Definition dessen, was überhaupt ein Schisma ist. Das Lexikon für Theologie und Kirche differenziert hier vier verschiedene Perspektiven. Der biblisch-theologischen sowie historischen Perspektive ist der Befund gemein, dass es sich bei einem Schisma um „Spaltungen in der [frühchristlichen] Gemeinde“ bzw. um „eine ortskirchliche Spaltung […] aus welchen Gründen auch immer“ (Beutler 2000, 147f.) handelt. Erst im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte weiten sich solche Spaltungen auf die päpstliche Ebene – und damit auf die gesamte Kirche – aus.

Entscheidend ist dabei aus systematisch-theologischer Sicht, dass es sich bei diesen Entwicklungen immer um eine nachhaltige Störung der Einheit der Kirche handelt, wird doch durch ein Schisma der eine Leib Christi getrennt. Aufgrund des in der Metapher des Leibes Christi begründeten Gemeinschaftscharakters der Kirche „ist jede Störung der Gemeinschaftlichkeit der Kirche […], tendenziell schismatisch“ (Beinert 2000, 151). Zugleich ist aber folgende Relativierung von Bedeutung: „[…] nicht jeder Dissens [ist] bereits Sch[isma]: Sofern die kirchliche Einheit im Hl. Geist als personeneinenden Liebe wurzelt, ist sie nicht monolitisch, sondern plural und verwirklicht sich geschichtlich in den vielen Charismen“ (Beinert 2000, 151).

„Konstitutive“ Streitigkeiten

Dieser Befund ist für unsere Fragestellung nicht uninteressant: So zeigt er deutlich auf, dass Meinungsverschiedenheiten und Differenzen keineswegs zwangsläufig in ein Schisma führen müssen. Vielmehr kann man solche Differenzen als geschichtlich-konkrete Explikationen der schon immer gegebenen Pluralität der Kirche bestimmen. Mit anderen Worten: Streitigkeiten gelten – so lange sie in der Sache geschehen – als „in der Gestalt ekklesialer Einheit angelegt“ (Beinert 2000, 152); sie sind konstitutiv für das Wesen der Kirche.

Zieht man an dieser Stelle bereits ein kurzes Zwischenfazit, dann kommt man nicht umhin, Kardinal Burke zuzustimmen. Zur Erinnerung: Burke sagt: „Ich werde nie Teil eines Schismas sein.“ Mit Blick auf die Argumentation Werner Lösers, der ein Schisma als „beabsichtigte Trennung von der kirchlichen Einheit“ (Löser 1988, 455) definiert, scheint man gegen Burke umso mehr keine Argumente anbringen zu können. Dieser Eindruck bestätigt sich sodann auch noch im Hinblick auf das Kirchenrecht, das das Schisma explizit auf den Papst bezieht: „Im KR [= Kirchenrecht; MV] bez[eichnet] Sch[isma] die Verweigerung der Unterordnung unter den Papst od[er] der Gemeinschaft mit den diesem untergebenen Gliedern der Kirche […], als Loslösen v[on] d[er] kirchlichen Gemeinschaft das schwerste Vergehen g[egen] die Einheit der Kirche […]“ (Güthoff 2000, 152).

Anspruch und Wirklichkeit?

Im Grunde könnte ich den Beitrag an dieser Stelle abbrechen, scheint doch theologisch deutlich geworden zu sein, dass Kardinal Burke so schnell tatsächlich nicht zum Schismatiker werden wird, geschweige denn heute als ein solcher zu bezeichnen wäre. Die Crux jedoch, wie ich bereits angedeutet habe, liegt in der Wirkungsgeschichte Burkes – und seinem sich darin explizierenden Kirchenbild.

Folgendes meine ich: Ich bin mir sehr sicher, dass Kardinal Burke kein dummer Mann ist; das Gegenteil ist eher der Fall. Eine solche Person wird in den seltensten Fällen ein Interview geben und darin auf beinahe staatstragende Weise – wenn das im kirchlichen Bereich überhaupt möglich ist; wobei: in Burkes Denkform dürfte dies kein Problem darstellen! – postulieren, dass sie nie ein Schismatiker war und auch nicht sein wird. Mit anderen Worten: Burke formuliert seine ‚Apologetik‘ nicht aus freien Stücken, sondern aufgrund der Tatsache, dass an ihn regelmäßig Vorwürfe herangetragen werden, denen er etwas entgegensetzen möchte.

Entlarvende Aussagen

Die Vorwürfe, die an Burke gerichtet sind, sind – so meine Einschätzung – keineswegs aus der Luft gegriffen. Und damit sind nun wir bei des Pudels Kern: Liest man im rechtskatholischen ‚Nachrichtenportal‘ kath.net nach, das die Aussagen des Kardinals regelmäßig dokumentiert, wird man schnell erkennen, welchen Einschlag diese haben. So wird Burke dort mit Blick auf die Fußnote 315 des päpstlichen Schreibens „Amoris Laetitia“, das die Zulassung von Wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten unter bestimmten Grenzen erlaubt, folgendermaßen zitiert, „[…] manche Passagen des Schreibens [erlauben] eine Interpretation […], die nicht der Lehre der Kirche entspr[icht]“ (hier); vielmehr sei besagte Fußnote lediglich die Privatmeinung des Papstes.

Das ist – mit Verlaub – eine theologisch vollkommen sinnfreie und nicht ernst zu nehmende Aussage! Ein Dokument, das im Nachgang der Bischofssynode, die die Einheit des Papstes mit allen Bischöfen repräsentiert (vgl. c. 342, CIC), geschrieben und das vom Papst qua Amt veröffentlicht wurde, ist alles, aber keine Privatmeinung! Ein solches Dokument ist immer und ausnahmslos im Lichte der lehramtlichen Entwicklung zu lesen und zu verstehen. Ich bin mir sehr sicher, dass Burke das weiß. Und trotzdem spricht er „Amoris Laetitia“ im Interview seine theologische Legitimation ab – und das sicherlich nicht ohne eine bestimmte Absicht.

Um welche Absicht es sich dabei handelt, wird mit Blick auf Burkes Aussagen vor der Bischofssynode deutlich. Im März 2015 sagte er laut kath.net: „Wir müssen zurückkehren zu dem, was die Kirche immer gelehrt hat“, sowie: „Ich habe als Bischof die Pflicht, die Wahrheit zu verkünden. Ich werde das auch weiter tun“ (hier). Unmittelbar vor Beginn der Familiensynode im September 2015 wurde er – wieder auf kath.net – mit den folgenden Worten zitiert: „‚Bleibt treu!‘ empfiehlt Raymond Kardinal Burke den Gläubigen, falls die Bischofssynode eine ‚merkwürdige Wendung‘ nehmen sollte“ (hier). Man könnte die genannten Sätze auch so ‚übersetzen‘: Die Lehre der Kirche entspricht nicht mehr der gottgegebenen Wahrheit, sie ist falsch. Ich bin der letzte Fels in der Brandung, der noch für die wahre Lehre steht.

Stefan Orths Rede von „tendenziell schismatischen“ Gruppierungen

Stefan Orth nennt die katholische Gruppierung, der Kardinal Burke als ‚Speerspitze‘ vorsteht, in einem sehr pointierten Artikel eine katholische „Kontrastgesellschaft“, die – in Anlehnung an die neuen sozialen Bewegungen in den 1970er Jahren, einen neuen „Widerstand“ aufbauen wolle (vgl. Orth 2002, 488). Diese Kontrastgesellschaft wolle

„sich letztlich von Rom möglichst genau bestätigen lassen, was denn eine katholische Existenz unabdingbar ausmache und welche Glaubenswahrheiten und sittlichen Normen abermals einzuschärfen seien.“
– Orth 2002, 488.

Dabei ist, so Orth, entscheidend: „Sie führen es [ihr Bestätigungsprinzip; MV] freilich insofern ad absurdum, als ihnen letztlich nur Hierarchien genehm sind, die ihre eigene Meinung teilen […]“ (Orth 2002, 488). Ein Satz, den man wohl eins zu eins auf die Aussagen von Kardinal Burke beziehen kann. Denn:

„Solchermaßen Unzufriedene sammeln sich schließlich in eigenen Vereinen, Gemeinschaften und Gemeinden, die zum Ersatz für das verlustig gegangene katholische Milieu und auf diese Weise zur neuen Heimat werden.“
– Orth 2002, 488.

Diese „neue Heimat“ definiert sich sodann auch über die Abgrenzung zu allen (anderen) Katholiken, die die eigene, streng rubrizistisch ausgestaltete (Glaubens)überzeugung nicht teilen. Faktisch entsteht also eine Spaltung innerhalb der Kirche – zwar nicht formal, aber doch in ‚ideologischer‘ Weise, nämlich ausgehend von der Frage, was genau katholisch ist und was nicht. So kommt Orth nicht umhin, solche Gruppierungen als „schismatische Tendenzen ganz eigener Art“ zu bezeichnen.

Performative Akte: Die ‚alte‘ und ‚neue‘ Messe

Kardinal Burke bei der Zelebration einer tridentinischen Messe.
>Foto: Phil Roussin/Flickr; Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0

Neben allen ekklesiologischen, amtstheologischen und sittlichen Unterschieden ist der performative Akt, also die Frage nach dem richtigen Gottesdienst, der Ort, in dem sich diese „schismatischen Tendenzen“ am deutlichsten explizieren. Gerade mit Blick auf Kardinal Burke, der als einer der profiliertesten Verfechter der sogenannten „alten Messe“ gilt, wird dies deutlich. Regelmäßig liest man in den rechtskatholischen Medien davon, dass er eine Hl. Messe im tridentinischen Ritus zelebriert habe. Die Meldung, dass Burke einer Hl. Messe im neuen, nachvatikanischen Ritus vorgestanden habe, wird man hingegen – so wage ich zu behaupten – vergeblich suchen.

Dabei schrieb der damalige Papst Benedikt XVI. bei der Wiedereinführung des tridentinischen Ritus im Jahre 2007, dass es im Sinne der ‚Reform der Reform‘ sein frommer Wunsch sei, eine gegenseitige Befruchtung der beiden Formen zu erreichen: „Im übrigen [sic!] können sich beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten: Das alte Meßbuch [sic!] kann und soll neue Heilige und einige der neuen Präfationen aufnehmen“ (Benedikt XVI. 20072, 3). Wenn sich die zwei Formen also gegenseitig befruchten sollen, sie also als zwei Formen des einen römischen Ritus verstanden werden, dann bedeutet das für die Anhänger der alten Messe – und insbesondere solche Priester:

„Um die volle communio zu leben, können die Priester, die den Gemeinschaften des alten Usus zugehören, selbstverständlich die Zelebration nach den neuen liturgischen Büchern im Prinzip nicht ausschließen. Ein völliger Ausschluß [sic!] wäre nämlich nicht in Übereinstimmung mit der Anerkennung des Wertes und der Heiligkeit des Ritus in seiner erneuerten Form.“
– Benedikt XVI. 20072, 4.

Ausgehend von „Summorum Pontificum“ stellt sich also zwangsläufig folgende Frage: Schließt Kardinal Burke die „Zelebration nach den neuen Büchern“ tatsächlich nicht aus? Angesichts des zuvor beschriebenen Befundes, dass Burke dafür bekannt ist, nur Messen im alten Ritus zu feiern, muss dies zwingend angefragt, wenn nicht sogar ausgeschlossen werden! Burke kann noch so sehr auf seiner Einheit mit dem Papst beharren (die auch eine Einheit mit dem II. Vatikanum einschließt); so lange er performativ wieder und wieder eine andere Botschaft vermittelt, sind seine Bekundungen nichts anderes als reine Wortklauberei! Dass sich zudem hinter Burke nicht wenige Menschen ‚verstecken‘, die tatsächlich sehr bestimmte (kirchen)politische Ziele verfolgen, kommt noch hinzu!

Zusammenfassende Überlegungen

Wie ich zu Beginn bereits herausgearbeitet habe, sind die theologischen Hürden für die Feststellung eines Schismas relativ hoch. Entscheidend ist, dass es sich dabei um eine Entwicklung mit dauerhaftem Charakter handeln muss, die zudem von beiden Seiten – sowohl von der Kirche als auch dem ‚Schismatiker‘ – bewusst als eine solche Entwicklung vollzogen werden muss. Vereinfacht gesagt muss allen Beteiligten bewusst sein, dass es eine Grenze gibt, die überschritten worden ist. Das beste Beispiel dafür in der jüngeren Kirchengeschichte ist ohne Zweifel das Schisma mit den Piusbrüdern von 1984.

Im Fall Burke ist ein solcher Grenzüberschritt eindeutig nicht gegeben. Und dennoch komme ich nicht umhin, dem Kardinal – mit Stefan Orth gesprochen – vorzuwerfen, er sei tendenziell schismatisch.

Natürlich macht sich Kardinal Burke zu Nutze, dass Papst Franziskus die Förderung eines Pluralismus der theologischen Positionen zu einem der wichtigsten Ziele seines Pontifikats ausgerufen hat. Insofern sind seine Aussagen zur kirchlichen Morallehre und zum innerkirchlichen Widerstand, auch wenn sie grenzwertig sein mögen, noch innerhalb dieses Pluralismus zu verorten. Und natürlich stehen die Aussagen Burkes zur tridentinischen Liturgie auf dem sehr festen Fundament von „Summorum Pontificum“ (auch wenn er sich auch hier die päpstlich zugesprochene Freiheit – die er anderen Christen nicht zusprechen will; genau das ist ja der entscheidende Punkt! – stark zu Eigen macht).

Nichtsdestoweniger sind die sehr einseitigen Annäherungen Burkes an diese Themen nicht unproblematisch: zum einen, weil Burke als Bischof selbst Brückenbauer zwischen den verschiedenen kirchlichen ‚Lagern‘ sein sollte – ob er das ist, lässt sich angesichts seiner Aussagen zumindest anfragen –, zum anderen, weil er vielen Menschen aus dem rechtskatholischen Lager eine exzellente ‚Speerspitze‘ bietet, um deren eigenen kirchenpolitischen Interessen durchzusetzen – und zwar aus dem Verborgenen heraus (man kann sich ja mehr oder minder problemlos hinter Kardinal Burke verstecken).

Ist Kardinal Burke also ein Schismatiker?

Dass Kardinal Burke eines Tages tatsächlich das Schisma mit der Kirche vollziehen wird, wage ich zu bezweifeln. Ganz im Gegenteil: Ich schätze seine Aussage, dass er die katholische Kirche niemals verlassen werde, als sehr glaubwürdig ein, alleine schon aus taktischen Gründen: Ich glaube, dass Burke sich selbst als ein innerkirchliches Korrektiv versteht, das seinen festen Platz in der kirchlichen Gemeinschaft hat und nicht außerhalb. Gleichwohl bleibt zuletzt natürlich die Erkenntnis – so ehrlich muss man zum Schluss sein –, dass viele performative Vollzüge Burkes der Einheit der Kirche eher entgegenstehen, als dass sie sie fördern – und somit „tendenziell schismatisch“ sind.

 

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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2 Kommentare zu „„Tendenziell schismatisch““

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