Weil die ersten beiden Tage sehr intensiv waren (insbesondere gilt dies für den zweiten Tag, an dem ich am Abend ja, wie ihr bereits wisst, die ordnungsgemäße Leitung unserer Veranstaltung zu verantworten hatte), habe ich den heutigen dritten Tag tatsächlich etwas ruhiger angehen lassen. Konkret bedeutet das, dass ich nicht – wie ursprünglich geplant – zur Bibelarbeit gegangen bin (Anmerkung am Rande: Ohne an dieser Stelle despektierlich sein zu wollen, kann ich dies aber auch verschmerzen, wohl wissend, dass an meiner Fakultät mit Prof. Söding der wohl renommierteste Exeget weltweit lehrt.)
Stattdessen bin ich durch die Stuttgarter Innenstadt geschlendert und habe an den vielen Bühnen Halt gemacht. Dabei sind mir zwei Dinge aufgefallen: Zum einen, wie fröhlich und ausgelassen die Menschen auf der Straße sind – und den Kirchentag geradezu feiern. Zum anderen – und das finde ich sowohl bemerkenswert als auch befremdlich –, wie viele andere „christliche“ Glaubensrichtungen die Gunst der Stunde nutzen, und für ihr Anliegen „werben“: Ich bin heute morgen angesprochen worden von Mormonen, von Zeugen Jehovas, von Siebentagsadventisten und noch einigen weiteren Gruppierungen. Vor allem letztere waren ziemlich aufdringlich und ließen kaum mit sich diskutieren – was letztlich ja aufzeigt, dass sie die Kirchentagslosung schlichtweg nicht verstanden haben! Auch wenn ich also an keiner konkreten Veranstaltung teilgenommen habe, war der heutige Morgen für mich sehr lehrreich.
Den Nachmittag habe ich in der ev. Stiftskirche auf einem Podium verbracht, das sich mit dem Friedens- und Versöhnungspotential von Religionen auseinandergesetzt hat – ein theologisches Thema, das angesichts der gegenwärtigen Lage in Afrika und im Mittleren Ostern an Aktualität kaum zu überbieten ist. Zunächst hat der Politologe und Friedensforscher Andreas Hasenclever dargelegt, dass Gewalt niemals von Religionen ausgeht, sondern ihren Ursprung vielmehr in sozialen und wirtschaftlichen Missständen habe – Religionen würden in einer solchen Situation von Sektierern äußerst verkürzt ausgelegt und zu sogenannten „Halbreligionen“ degradiert, die allerdings das Potential haben, von der Gesellschaft Ausgegrenzte aufzufangen.
Mit anderen Worten: Religionen seien im Sinne der je eigenen Ideologie instrumentalisiert. Einziges Mittel der institutionalisierten Religionen, um gegen solche Gruppierungen vorzugehen, sei deswegen die entschiedene Distanzierung von diesen (Anmerkung am Rande: Ihr wisst vielleicht noch, dass auch ich genau diese These Anfang des Jahres in einem Beitrag hier im Blog vertreten habe (siehe hier), aber ich finde es gut, dass die These in einem öffentlichen Rahmen, auf einer ‚politischen‘ Veranstaltung vor über 500 Menschen stark gemacht wurde!).
Im Anschluss an Herrn Hasenclever sprachen mehrere Referenten, die täglich mit pluralen religiösen Situation konfrontiert sind oder einen religiösen Friedensprozess aktiv mitgestaltet haben: Dies waren der koptisch-orthodoxe Bischof Anba Damian, der – zwar mit einem Lächeln im Gesicht und einen ständigen Gebrauch von Floskeln – leider die ganze Zeit zu erklären versuchte, dass der Islam ewig gestrig und von sich aus allen anderen Religionen gegenüber feindlich gesittet sei. Ihm gegenüber standen der kroatische Theologe fra Ivo Markovic, der den Friedensprozess in Bosnien und Herzegowina maßgeblich begleitete sowie die Imamin der Berliner Ditib-Gemeinde und islamische Theologin Emine Erol. Beide machten sich dafür stark – und darüber habe ich mich sehr gefreut –, dass in einer pluralen Gesellschaft der Dialog der einzige Weg des gemeinsamen Miteinanders sein könne. Angesichts dieser doch sehr unterschiedlichen Positionen entstand am Ende der Veranstaltung noch eine sehr lebhafte Podiumsdebatte.
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Nach über drei Stunden beim Podium entschied ich mich, den Abend so ausklingen zu lassen, wie ich den Morgen begonnen habe: mit einem gemütlichen Spaziergang durch die Stuttgarter Innenstadt und dem Aufsammeln einer Vielzahl (vor allem musikalischer) Eindrücke.
Morgen Vormittag stehen gleich zwei interessante Veranstaltungen an, die allerdings leider zur selben Zeit stattfinden: Zum einen gibt es ein Podium zum Thema „Verantwortung in Krisensituationen“, an dem u. a. der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi A. Annan teilnehmen, und zum anderen ein Podium über die Zukunft der Religion in der pluralen Gesellschaft. Für welche Veranstaltung ich mich letztlich entschieden habe, werde ich euch morgen berichten.