Über den rechten Glauben und die katholische Diskussionskultur

17. März 2015 Ethik, Theologie
von Matija Vudjan
Um die Diskussionskultur innerhalb der katholischen Kirche kann es momentan nicht sehr gut bestellt sein, wenn mein Bloggerkollege Carsten Leinhäuser von vaticarsten.de sich in diesem Jahr bereits zwei Mal zu diesem Thema geäußert hat – und in dieser Sache inzwischen sogar bischöflichen Beistand erhalten hat. Worum es mir genau geht und was das mit dem Begriff der „Wahrheit“ zu tun hat, möchte ich im heutigen Beitrag darlegen.

Eine bischöfliche Rüge – und was dahinter steckt

Bischof Stefan Oster.
Foto: Pressestelle Bist. Passau/Wikimedia; Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

Der Passauer Bischof Stefan Oster hat sich am vorletzten Wochenende auf seiner Facebookseite zwei Mal zu diesem Thema geäußert (s. hier und hier) – und damit eine intensive Diskussion entfacht. Konkretes Anliegen für Osters Postings war das katholische Nachrichten- und Meinungsportal kath.net. Ein Portal, das dem konservativen katholischen Milieu zuzuordnen ist und das dies auch immer wieder betont – und andere (vor allem anders-denkende) immer wieder spüren lässt:

So werden nicht selten Menschen, die nicht das von der Redaktion für richtig empfundene Welt- und Menschenbild vertreten, in Artikeln diffamiert, teilweise gar persönlich angegriffen. Katholiken, die ein anderes Verständnis von ihrem Glauben haben als die Mitglieder der Redaktion, wird oftmals abgesprochen, ein wahrer Katholik bzw. eine wahre Katholikin zu sein (ich habe hier in den #GedankenZurWoche bereits einmal kurz angedeutet, wie so etwas aussieht). Nachweislich wird bei kath.net seit Jahren der Kommentarbereich zensiert: Kritische Kommentare – seien sie inhaltlicher oder gar nur formaler Art – werden i. d. R. nicht freigeschaltet. (Anmerkung am Rande: Dass die Vorwürfe Tatsachen, die ich hier beschreibe, nicht aus der Luft gegriffen sind, wurde lange Zeit durch den Blog Episodenfisch dokumentiert.)

Nach eigenem Anspruch ist kath.net eine Nachrichtenseite – und somit eigentlich journalistischen Grundsätzen und -bedinungen verpflichtet. Tatsächlich aber ist sie von journalistischen Standards meilenweit entfernt. Deswegen ist es keineswegs verwunderlich, dass sich Bischof Oster (der übrigens von Haus aus gelernter Journalist ist) zu der Seite und den Arbeitsmethoden der Redaktion äußert (meines Erachtens ist deutlich mehr verwunderlich, dass sich vor dem Passauer Bischof noch niemand dazu geäußert hat!). Deutlich werden an der Kritik Osters übrigens zwei Aspekte, auf die ich heute ein wenig konkreter eingehen möchte:

  1. Innerhalb der katholischen Kirche gibt es ein ernsthaftes Problem, wenn sich verschiedene „Strömungen“ oder „Gruppierungen“ gegenseitig die Katholizität absprechen – genau das ist aber bereits nachweislich der Fall!
  2. Die Facebook-Botschafen von Bischof Oster offenbaren ohne Zweifel, dass es zwischen „konservativen“ und „liberalen“ Katholiken strukturelle Probleme gibt. Aber: Auseinandersetzungen wie die aktuelle hat es seit Beginn der Kirchengeschichte immer gegeben. Das muss man wissen – und entsprechend damit umgehen!

1. Zur Diskussionskultur in der katholischen Kirche

Bekanntlich heißt es: „Wo fünf Köche, dort sechs Geschmäcker.“ Wo mehrere Menschen aufeinander treffen, ist es vollkommen normal – vielleicht sogar selbstverständlich –, dass nicht alle die gleiche Meinung haben. Dieser Fakt gilt auch für rund 1,2 Milliarden Katholiken weltweit und etwa 24 Millionen Katholiken in Deutschland, zumal der Glaube etwas höchst persönliches, ja gar intimes ist. Meinungsverschiedenheiten – und seien diese noch so fundamental – sind aber zunächst nichts schlimmes. Entscheidend ist dann aber, wie man damit umgeht. Schlimm, sogar erschreckend, werden unterschiedliche Meinungen nämlich erst dann, wenn man nicht damit umzugehen weiß.

Genau das geschieht momentan aber in der katholischen Kirche: Aus der Ecke der „Konservativen“ hört man in der letzten Zeit immer häufiger, dass „progressive“ bzw. „liberale“ Katholiken dem sozialistischen Mainstream verfallen seien. Umgekehrt werden „Traditionalisten“ oft als nationalkonservativ oder gar nationalistisch bezeichnet. Nicht zu vergessen ist, dass man sich gegenseitig immer wieder die Katholizität abspricht. (Eigentlich fehlt nur noch, dass man sich gegenseitig exkommuniziert – ein Glück, dass das nicht möglich ist.)

Oft werden die gerade vorgetragenen Vorwürfe einfach in den Raum geworfen, ohne, dass diese wirklich der Wahrheit entsprächen: Wer die deutsche Medienlandschaft als „sozialistisch“ verspottet und allen Ernstes behauptet, progressive Katholiken unterlägen, weiß selbst wohl nicht, wie eine sozialistische (sagen wir doch lieber kommunistisch) Medienlandschaft aussieht – ich spreche hier aus Erfahrung. Ebenso sind Konservative oder Traditionalisten nicht sofort Nationalisten – wer mit der Unterscheidung Probleme hat, darf sich gerne über die gegenwärtige Lage in Ungarn, in der Türkei oder in den USA (Stichwort: Tea party) informieren.

Ich frage mich immer wieder, was man mit solchen Vorwürfen bezwecken will. Anstatt aufeinander zuzugehen und Differenzen zu diskutieren (und dadurch im besten Falle zu überwinden), beleidigt man sich permanent – nicht selten unterschreitet man dabei die Gürtellinie. Ein solches Vorgehen führt keineswegs zu einer Entspannung der Situation – im Gegenteil: der Graben zwischen „konservativen“ und „liberalen“ Kräften vertieft sich dadurch nur weiter; eine Entwicklung, die im Zweifel sogar zu einer Kirchenspaltung führen kann – und das kann niemand ernsthaft wollen!

2. Auseinandersetzungen und Streitigkeiten

Petrus und Paulus.
Bild: El Greco

Der soeben dargestellte „Streit“ zwischen „liberalen“ und „konservativen“ Kräften in der Kirche (was genau mit diesen beiden Begriffen gemeint ist, scheint mir in der öffentlichen – und auch inner-katholischen – Wahrnehmung nicht ganz eindeutig zu sein – deswegen die Anführungsstriche) ist aber, so intensiv er auch geführt sein mag, in der Geschichte der Kirche kein Einzelfall (das hat auch ganz eindeutige Konsequenzen für den Begriff der „Wahrheit“, der in der gegenwärtigen Auseinandersetzung von beiden Seiten für sich beansprucht wird). So wurde bereits in der frühen Missionierungsphase das sog. „Apostelkonzil“ einberufen, weil sich Petrus und Paulus – also nicht irgendjemand aus der Jerusalemer Urgemeinde, sondern die zwei wichtigsten Apostel! – darüber stritten, ob man beschnitten sein müsse, um getauft zu werden (vgl. Apg 15) – eine sehr konkrete Fragestellung also.

Dass dies in 2000 Jahren Christentumsgeschichte beileibe nicht die einzige Auseinandersetzung war, versteht sich von selbst. Wollte man alle Konflikte aufzählen (und erläutern), die im Laufe der Geschichte der Kirche ausgetragen wurden, bräuchte man viel Papier – sehr viel sogar. Deswegen seien an dieser Stelle exemplarisch genannt: die Auseinandersetzung mit der Gnosis im 1. und 2. Jahrhundert, die Streitigkeiten um die Gottheit Jesu im 3., 4. und 5. Jahrhundert, die Auseinandersetzung des Pelagius mit einem gewissen Augustinus um die Frage nach der Gnade und der Erlösung im 4. Jahrhundert, zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen West- und Ostkirche (z. B. um die Frage nach dem Primat Roms) bis zur Kirchenspaltung im 12. Jahrhundert, die Reformation und die damit verbundene Gegenreformation im 16. Jahrhundert, die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Aufklärung (der faktisch bis heute nicht eindeutig geklärt ist) ab dem 18. Jahrhundert, der Streit um den Jurisdiktionsprimat Roms im Vorfeld des I. Vatikanums, und, und, und…

Über die „Wahrheit“ des Glaubens

Man könnte diese Liste wie gesagt noch deutlich erweitern (Anm. am Rande: Sicherlich wird man der Geschichte der (katholischen) Kirche auch nicht gerecht, wenn man sie so kurz darstellt – aber das ist auch nicht Ziel dieses Beitrages.). Deutlich sollte aber allemal geworden sein, dass – wenn man dies ein wenig überspitzt beschreiben möchte – Streitigkeiten und Differenzen Kernbestandteil der kirchlichen Wirklichkeit waren. Unterschiedliche Katholiken hatten unterschiedliche Meinungen zu einem Thema – anders gesprochen: Sie waren jeweils davon überzeugt, Träger der Wahrheit des katholischen Glaubens zu sein!

Heute ist das – bis auf einen Unterschied (der aber ein elementarer ist) – nicht anders: Sowohl „liberale“ als auch „konservative“ Katholiken sind davon überzeugt, dass nur die Form des Katholizismus, die sie selbst begehen, der Wahrheit des Glaubens entspricht. Was aber ist die „Wahrheit“? Geschichtlich betrachtet ist dies eine komplexe Frage – die damit aber zum Unterschied der heutigen Auseinandersetzung mit früheren führt –: Gab es im beispielsweise Vorfeld des Konzils von Nicäa (325 n. Chr.), das die Frage nach der Gottheit Jesu beantwortete, mehrere Schulen, die sich in dieser Frage nicht einig waren, so konnte man sich auf dem Konzil zu einer gemeinsamen Lösung der Problematik einigen – man sprach also eine gemeinsame Sprache, und hatte somit auch das gleiche Verständnis von „Wahrheit“. Dies ist ein Muster, das (in ähnlicher Form) immer wieder wieder angewendet wurde: Hatten sich unterschiedliche Vorstellungen über den katholischen Glauben herauskristallisiert, diskutierte man diese und entwickelte i. d. R. eine gemeinsame Lösung.

Natürlich ist mir durchaus bewusst, dass man nicht einfach ohne Weiteres ein Konzil einberufen kann. Miteinander reden kann aber sehr wohl! Genau das geschieht im deutschen Katholizismus seit längerer Zeit nicht mehr! Im Gegenteil: Man redet im Grunde nur noch übereinander – zu Beginn habe ich dies ja bereits ausführlich dargelegt. Dass damit keine Probleme gelöst werden, sondern diese vielmehr vertieft (und dadurch vielleicht unüberbrückbar) werden, ist eine logische Konsequenz!

Deutlich werden sollte allen Beteiligten: Differenzen kann man nur unter der Bedingung aus der Welt räumen, dass man miteinander spricht! Dann wiederum ist es Grundbedingung, in der Position des anderen – zumindest ein Stück weit – Wahrheit zu erkennen. Letztlich muss sich jedermann persönlich die Frage stellen, was für ihn/sie elementarer Bestandteil der eigenen Wahrheit des Glaubens ist. Ein „Konservativer“ wird an dieser Stelle wohl mehr Aspekte nennen als ein „Liberaler“. Trotzdem kann eine solche Frage Ausgangspunkt für weitere, dann gemeinsame Überlegungen sein. Von einem bin ich nämlich überzeugt: Alle Katholiken, unabhängig davon, wie sie ihren Glauben verstehen und leben, haben einen gemeinsamen Kern, eine gemeinsame Wahrheit des Glaubens!

Zusammenfassende Gedanken

Fassen wir noch einmal zusammen: Was lange Zeit bekannt war, wurde durch die zwei Postings von Bischof Oster endgültig aufgedeckt: Der Katholizismus in Deutschland hat sich in den letzten Jahren (und Jahrzehnten) in zwei Grundrichtungen aufgebaut: Es gibt eine „konservative“ und eine „liberale“ bzw. „progressive“ Fraktion. Inzwischen kann man das Verhältnis zwischen diesen Fraktionen sehr wohl als geschädigt bezeichnen; das geht so weit, dass nicht mehr miteinander, sondern hauptsächlich übereinander – und dann deutlich öfter negativ als positiv – gesprochen wird. Dadurch wird der Graben zwischen den beiden Fraktionen zwangsläufig vertieft – eine Entwicklung, die niemanden zufriedenstellen kann.

„Nur redenden Menschen kann man helfen“, hat meine frühere Chefin einmal gesagt – und damit vollkommen Recht gehabt. Möchte man es nicht darauf ankommen lassen, dass der Graben immer tiefer (und damit irgendwann zu tief) wird, muss man miteinander reden! Dies funktioniert nur in einer freundlichen, offenen und sachlichen Atmosphäre sowie unter der Bedingung, dass man sich dessen bewusst wird, dass man mit dem anderen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede teilt. Nimmt man sich dies zu Herzen, kann gewiss ein fruchtbarer Boden für gehaltvolle gemeinsame Diskussionen entstehen – und auf diesem Boden kann der Kern, die Wahrheit des Glaubens, dauerhaft gestärkt, wachsen und gedeihen!

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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