Aus jeder Krise gibt es einen Ausweg

25. Januar 2013 Ethik, Gesellschaft, Theologie
von Matija Vudjan
Sobald es in den Medien der katholischen Kirche gegenüber eine negative Berichterstattung gibt, folgt kurz darauf eine Welle der Entrüstung und in vielen Fällen auch eine Welle von Kirchenaustritten. In meinem letzten Kommentar vom Dienstag habe ich – leicht überspitzt – geschrieben, dass dies für die Kirche sogar gut sei. Warum dies so ist, möchte ich heute in diesem Essay auf systematisch-theologischer Ebene erörtern.


Auch wenn ich es am Dienstag schon angedeutet habe, möchte ich es hier noch einmal gesondert wiederholen: Die Kirche hat in ihrer Geschichte bis in die jüngste Vergangenheit hinein Verfehlungen begangen, die unverzeihlich sind und die unbedingt und gewissenhaft aufgearbeitet werden müssen! Dies gilt selbstverständlich auch für den aktuellen Missbrauchsskandal, auf den ich im Folgenden weiter eingehen werde.

Der Fall Pfeiffer

Wie ihr wisst, hat die katholische Kirche in Deutschland sich zum Ziel gesetzt, den Missbrauchsskandal vollständig aufzuklären. Deshalb begann die Deutsche Bischofskonferenz vor zwei Jahren eine Zusammenarbeit mit dem Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer. Als diese vor wenigen Wochen seitens der Kirche beendet wurde, war der Aufschrei in den Medien groß.

Größtenteils wurde dabei aber unterschlagen, dass die Kirche die Aufklärungsarbeit nicht vollständig beenden, sondern mit einem neuen Partner fortsetzen möchte. Dafür gibt es (auch das wurde in den Medien nicht wirklich erwähnt) plausible Gründe.

Herr Pfeiffer hat in den Medien kritisiert, dass ihm einzelne Bistümer keine Akteneinsicht gewähren wollten und des Weiteren viele Akten mutwillig zerstört hätten. Nach meinen Informationen ist es aber so, dass der Kriminologe diese Akten schon vor der Beendigung der Studie an die Öffentlichkeit weitergeben wollte – ohne dabei die Missbrauchsopfer aufzuklären!

Der katholischen Kirche muss es nach dem Imageverlust durch den Missbrauchsskandal darum gehen, wieder Vertrauen herzustellen; da sollte es (meiner Meinung nach) selbstverständlich sein, die Aufarbeitung des Skandals so lange abseits der Öffentlichkeit durchzuführen, bis diese beendet ist. Alleine aus Respekt den Opfern gegenüber ist die Kirche hier zu Diskretion verpflichtet.

Eine diskrete Aufarbeitung wird aber immer schwieriger, wenn die Medien immer öfter einen antikirchlichen Standpunkt einnehmen. Laut deutschem Presserat ist dies zwar erlaubt, aber für die Allgemeinheit ist es dann nur noch durch gezielte, selbstständige Recherche möglich, sich ein eigenes und unabhängiges Urteil zu bilden.
Dass dies nicht geschieht – man geht ja immerhin davon aus, dass die eigene Zeitung eine vollständige Berichterstattung liefert – ist irgendwie verständlich. Für die Kirche bedeutet dies aber, dass sie vielleicht dort die volle Schuld trifft, wo sie im Zweifelsfall nur bedingt schuldig ist.

Der Fall der beiden Kölner Krankenhäuser

So ein Szenario ist auch erkennbar an der zweiten „Geschichte“, die ich am Dienstag beschrieben habe. Auch im Fall der vergewaltigten Kölnerin, die von zwei Kölner Krankenhäusern abgewiesen wurde, gab es teilweise eine einseitige Berichterstattung in den Medien. Wobei in diesem Fall eine große Unkenntnis der katholischen Moraltheologie und Ethik entscheidend ist – sowohl seitens der Medien, als auch seitens der Öffentlichkeit.

Versteht mich bitte auch hier nicht falsch: Ich verurteile die Nicht-Behandlung der Vergewaltigten durch die beiden katholischen Krankenhäuser auf Schärfste (auch wenn es sich nach dem jetzigem Stand der polizeilichen Ermittlungen wohl um ein Missverständnis handelte). Deshalb bin ich auch wirklich froh, dass sich sowohl die Trägergesellschaft der beiden Krankenhäuser als auch der Kölner Kardinal Joachim Meißner für den Vorfall öffentlich entschuldigt haben.

Auch hier bleibt aber ein fader Beigeschmack. Die Kirche wird seit dem Vorfall dafür kritisiert, dass katholische Krankenhäuser bei Vergewaltigten keine Anti-Baby-Pille verschreiben. Wer dies kritisiert, hat sich allerdings kaum bzw. überhaupt nicht mit der katholischen Ethik befasst.

Nach katholischer Lehrmeinung beginnt das menschliche Leben ab dem Zeitpunkt, in dem die weibliche Eizelle von der männlichen Spermienzelle befruchtet wurde. Wer sich an den Religionsunterricht zurückerinnert, wird auch in Erinnerung haben, dass das Gebot „Du sollst nicht töten!“ Mord als Todsünde definiert. Unter diese Regelung fällt auch die Abtreibung.

Um diesen Gedanken noch etwas weiter zur Anti-Baby-Pille zu führen (immerhin habe ich gestern erfahren, dass diese gar kein Abtreibungsmittel ist): Nach katholischer Lehrmeinung ist es ebenso verboten, die Befruchtung der Eizelle, also den Beginn des menschlichen Lebens zu verhindern. Denn es liegt nicht in der Kraft des Menschen, ob er ein neues Leben schenkt; dies liegt einzig und alleine in der Vollmacht Gottes. Dies ist auch der Grund, warum die Kirche Kondome „verbietet“.

Ich weiß sehr wohl, dass es sich bei Vergewaltigten hier um einen besonderen Grenzfall handelt. Die Kirche muss sich hier auch die Frage stellen, ob sie in solchen Fällen von einem absoluten Veto bezüglich der Anti-Baby-Pille Abstand nehmen will. Den Grund für das Veto habe ich oben gerade genannt; die Frage ist aber, ob man es seitens der Kirche verantworten kann, dass das Verhältnis von Mutter und Sohn durch eine Vergewaltigung vielleicht für immer geschädigt sein wird. Ganz zu schweigen von anderen psychischen und physischen Problemen.

Die Entwicklung der Kirche

Auch wenn die Kirche in Medien und Öffentlichkeit ein schlimmeres Image hat, als ihr – meiner Meinung nach – zusteht, muss man auch so offen sein und zugeben, dass die Kirche sich in einer Krise befindet; vielleicht sogar in der schlimmsten Krise seit dem 2. Weltkrieg. Die Mitgliederzahlen sinken seit Jahren stetig und auch immer weniger Katholiken besuchen noch regelmäßig den sonntäglichen Gottesdienst (insgesamt sind es nur noch etwa 10%).

Am Dienstag habe ich geschrieben, dass diese Entwicklung für die Kirche insgesamt gut sei. Weil diese Aussage recht polemisch und antikirchlich wirkt, möchte ich sie einmal kurz erläutern: In den meisten Fällen kommt es zum Kirchenaustritt, weil die Betroffenen von der Kirche enttäuscht sind oder kein Vertrauen mehr in sie haben. Sie können sich schlicht und einfach nicht mehr mit der Kirche identifizieren.

Der Weg aus der Krise führt also nur über einen neuen Vertrauensgewinn. Der Knackpunkt ist hier aber: Wie kann die Kirche das verloren gegangene Vertrauen wieder herstellen?

Hier hat die Kirche nur eine Möglichkeit. Um euch diese zu verdeutlichen, möchte ich euch drei Fragen stellen:

  1. Kennt ihr den Grundinhalt des christlichen Glaubens?
  2. Wisst ihr, was die Aufgabe der Kirche ist?
  3. Und, um auf das oben geschriebene einzugehen: Kennt ihr den Inhalt der katholischen Moraltheologie bzw. Ethik?

Ich bin mir sicher, dass die meisten von euch diese Fragen entweder gar nicht oder nur unvollständig beantworten können. Womit wir auch schon beim – meines Erachtens – zentralen Problem der aktuellen Kirchenkrise sind. Die meisten Menschen identifizieren sich (unter anderem) nicht mehr mit der Kirche, weil sie ihre Glaubensinhalte nicht mehr kennen oder verstehen. Wenn die Medien – die dieses Verständnisproblem auch haben – dann kirchliche Themen nur unvollständig oder nicht korrekt wiedergeben, wird das Misstrauen der Kirche gegenüber zwangsläufig größer.

Neben der vollständigen Aufklärung ihrer Verfehlungen muss es also auch Aufgabe der Kirche sein, ihre Glaubensinhalte – die nach 2000 Jahren durchaus veraltet erscheinen und deshalb schwer verständlich sind – in die Sprache der Gegenwart zu übersetzen.

Um auf die oben genannten Fragen zurückzukehren, möchte ich sie einmal kurz und knapp beantworten, soweit dies überhaupt möglich ist:

  1. Der Inhalt des christlichen Glaubens ist die unabdingbar gültige Selbstoffenbarung Gottes, durch die  – durch das Medium Jesu Christi – seine Liebe für die Menschen offenbar wird. Dies wird deutlich anhand der Reich Gottes-Botschaft Jesu Christi.
  2. Die Kirche steht nicht an Stelle Gottes bzw. seines Himmelreiches, sondern ist Zeichen und Werkzeug der Selbstoffenbarung Gottes. In diesem Sinne hat sie den Sendungsauftrag, die Botschaft vom Reich Gottes in die Gegenwart zu tradieren.
  3. Die katholische Ethik definiert die Bedeutung und den Wert der Schöpfung Gottes im Hinblick auf die Reflexion dieser Schöpfung nach biblisch theologischem Kontext und Maßstäben.

Auch an diesen Antworten wird das Problem der Übersetzung noch einmal deutlich: Die Antworten können wohl nur dann verstanden werden, wenn man sich explizit mit der theologischen Thematik beschäftigt. Dies ist jedoch fatal! Die Kirche muss in der Lage sein, ihre Glaubensaussagen so in die heutige Zeit und Sprache zu übersetzen, dass sie so einfach wie nur möglich verstehen zu sind. Die Kirche kann nur dann Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie verstanden wird.

Voraussetzung dafür ist auch eine Offenheit der Menschen der Kirche gegenüber. Es nützt meiner Meinung nach nichts, jedes Gesprächsangebot der Kirche zu torpedieren und sie im Gegenzug öffentlich zu diffamieren. Viel mehr muss es für jeden Einzelnen darum gehen, in einem kritischen Dialog mit der Kirche zu erörtern, inwieweit ihn/sie die kirchliche Lehre anspricht – oder eben nicht.

Das 2. Vatikanische Konzil (1961-1965) definiert Kirche erstmals als „Volk Gottes“. Ohne darauf gesondert einzugehen (das würde den Rahmen dieses Essays endgültig sprengen), möchte ich aufzeigen, dass mit diesen Worten die Positionen der Laien bzw. der einfachen Menschen erheblich aufgewertet wird in Richtung eines ergebnisorientierten Dialogs. Jeder Mensch ist zu diesem Dialog eingeladen. Um den Bogen zur provokanten These vom Dienstag zu spannen: Jeder, der dieses Angebot ausschlägt und die Kirche stattdessen diffamiert, hat nicht verstanden, worum es der in Kirche geht!

Fassen wir zusammen: Die Kirche von heute muss sich dazu verpflichten, ihre Verfehlungen der Vergangenheit vollständig aufzuarbeiten sowie durch die Erklärung ihrer Glaubensinhalte in der Sprache der Gegenwart und durch das offene Gesprächsangebot an alle Menschen das in der Vergangenheit verloren gegangene Vertrauen wieder zu gewinnen.

Dass dies nicht nur ein einseitiger Prozess ist, sondern auch an den Menschen selbst hängt, sollte dabei selbstverständlich sein. Dabei bedarf es in der heutigen Zeit aber auch der Hilfe der Medien. Nicht in Form eines kirchlichen Sprachrohrs, sondern durch eine neutrale, ergebnisorientierte und nicht kirchenfeindliche Berichterstattung (wie es heute leider häufig der Fall ist). Davon werden am Ende – ausnahmslos – alle Beteiligten profitieren.

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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