Einheit in Vielfalt

23. März 2017 Theologie
von Matija Vudjan
Ein heller und einladender Kirchenraum: der „kleine Michel“ in Hamburg. Foto: © Thomas Wagner, CC BY-SA 3.0
Ich habe bereits des Öfteren erörtert, dass sich die katholische Kirche – insbesondere in Deutschland – in einer tiefgreifenden Krise befindet (vor kurzem erst hier). Dass es hier keine einfachen Lösungen gibt, habe ich dabei ebenso häufig erwähnt. Allerdings lohnt es sich – das ist mir in der vorletzten Woche klar geworden –, einen Blick auf die Ordensgemeinschaften zu werfen.

Die Kirche und ihre Orden

Ein Kreuzgang. Foto: © Andreas Praefke, CC BY-SA 3.0

„Was kann die katholische Kirche von ihren Orden lernen?“ Diese Fragestellung war leitend für ein dogmatisches Seminar, an dem ich in diesem Semester teilnehmen durfte. Der Hintergrund der Fragestellung liegt auf der Hand: Ordensgemeinschaften erleben in vielfacher Hinsicht, was es bedeutet, Kirche zu sein: sowohl im Kleinen (auf der Ebene einer einzelnen Kommunität), als auch im Großen (im Blick auf einen gesamten Orden). Zumal sie sich auf beiden Ebenen immer als Teil der Kirche verstehen.

Ordensgemeinschaften sind den Herausforderungen ihrer jeweiligen Zeit in dezidierter Weise ausgesetzt, und erfahren sie sicherlich in einer noch intensiveren Form als es die Kirche im Allgemeinen tut: Man denke nur an den Mitgliederschwund, der für die Kirche grundsätzlich schmerzhaft ist, für viele Orden aber eine existentielle Bedeutung hat.

In ihrer (je ganz eigenen) Geschichte haben sich die katholischen Orden schon immer mit Innovationen auseinandergesetzt – mal aus eigenem Antrieb, oft auch gezwungenermaßen. Die Geschichte der katholischen Orden ist nur zu verstehen vor der Frage, wie die Orden mit den Herausforderungen ihrer Zeit umgegangen sind. Insofern ist es äußerst lohnenswert, sich das Wesen, die Theologie und die Spiritualität unterschiedlicher Ordensgemeinschaften vor Augen zu führen.

Das haben wir mit unserem Seminar getan und in der vorletzten Woche insgesamt vier Klostergemeinschaften besucht: Die Benediktinerabtei in Gerleve, die Franziskaner-Kommunität in Rheda-Wiedenbrück sowie den Dominikaner- und Jesuitenkonvent in Hamburg. An allen Orten haben wir die Liturgie mitgefeiert und sind mit Ordensvertretern ins Gespräch gekommen.

Ein Erfahrungsbericht

Was kann die katholische Kirche also von ihren Orden lernen? Diese Frage ist (gerade angesichts der unterschiedlichen Gemeinschaften, die wir besucht haben) so vielschichtig, dass ich sie hier unmöglich in Gänze beantworten kann – zumal es noch gilt, die erlebten Eindrücke weiter einzuordnen und theologisch zu reflektieren. Dennoch glaube ich, der Frage gerecht werden zu können, wenn ich die Antwort auf einen (zentralen) Aspekt fokussiere: Vielfalt.

Alle Gemeinschaften, die wir besucht haben, sind katholisch – aber sie sind es auf ihre eigene Art und Weise! Bemerkenswert ist, dass es nicht nur Unterschiede zwischen den einzelnen Ordensgemeinschaften gibt; auch innerhalb eines Ordens kann unmöglich von dem Ordensideal gesprochen werden. Für die Benediktiner ist es zum Beispiel selbstverständlich, dass jedes Kloster einen eigenen Schwerpunkt hat – die Benediktsregel kann von Kloster zu Kloster unterschiedlich ausgelegt werden. Ähnlich sieht es bei den Franziskanern aus, die – aufgrund historischer Entwicklungen – in viele kleinere ‚Teilorden‘ unterteilt sind, jeweils mit einer eigenen Deutung des franziskanischen Ideals. So unterscheidet man (unter vielen anderen) Franziskaner, Minoriten, Kapuziner und Terziaren.

Wenn man die unterschiedlichen Ordensgemeinschaften miteinander vergleicht, fallen zuallererst Unterschiede im jeweiligen Selbstverständnis auf: Die Benediktiner verstehen sich als ein kontemplativer Orden, der bewusst ‚außerhalb‘ der Gesellschaft steht. Nicht umsonst befindet sich die Abtei Gerleve auf einem Landstück, relativ weit entfernt von der nächsten Stadt Billerbeck. Alle anderen von uns besuchten Gemeinschaften befinden sich hingegen mitten in der Stadt, weil sie sich (auch) als seelsorgerische Orden verstehen. Das wirkt sich auch auf das öffentliche Wirken der Klöster aus: Franziskaner, Dominikaner und Jesuiten übernehmen allesamt Aufgaben in der Pfarrseelsorge.

Franziskaner, Dominikaner und Jesuiten

Dass die drei Ordensgemeinschaften aber nicht alleine auf die Seelsorge engzuführen sind, sondern auch weitere Schwerpunkte setzen, versteht sich von selbst (natürlich nur unter dem Vorbehalt, dass wir mit drei Kommunitäten vor Ort nur Ausschnitte des jeweiligen Ordens kennengelernt haben): Die Franziskaner haben uns vor allem durch ihr charismatisches Auftreten und ihre Herzlichkeit begeistert. Ihre Liturgie glänzt zudem durch eine beeindruckende Offenheit und Schlichtheit. Die Dominikaner zeichnet aus, dass sie ein demokratischer Orden mit einer flachen Hierarchie sind. Jeder Ordensbruder erhält hier den Freiraum, sich explizit nach den eigenen Stärken weiterzubilden und diese Stärken dann in den Orden und in die Gesellschaft hineinzutragen.

Die Jesuiten schließlich, die sich vor allem der Vermittlung des katholischen Glaubens verpflichtet haben, machen dies auch in performativer Weise deutlich: Wir haben selten eine Hl. Messe mitgefeiert, die so durchdacht gewesen ist, die einen solch hohen Grad an liturgischer Mystagogie in sich getragen hat. Hier wurde deutlich: Die Jesuiten haben tatsächlich verstanden, dass die Eucharistiefeier die „Quelle und der Höhepunkt des Glaubens“ ist (SC 10, LG 11)!

Zusammenfassung: Einheit in Vielfalt

Es versteht sich von selbst, dass dieser – bewusst sehr schlaglichtartige und kurz gehaltene – Erfahrungsbericht nicht die gesamte Wirklichkeit der Vielzahl an katholischen Orden darstellen kann, zumal unser Seminar die weibliche Seite völlig außer Acht gelassen hat! Dennoch denke ich, dass der Blick in die vier Gemeinschaften ausreicht, um die Ausgangsfrage zu systematisieren:

„Was kann die katholische Kirche von ihren Orden lernen?“ Definitiv so einiges! Vor allem aber kann sie lernen, dass es die katholische Kirche nicht gibt. Ganz im Gegenteil gibt es offenkundig äußerst viele Ausprägungen dessen, was man als ‚katholisch‘ verstehen kann. Hinsichtlich der Orden ist das scheinbar kein Problem. Weitet man den Blick jedoch auf die Weltkirche aus, wird deutlich, dass sie sich auch heute noch – trotz Papst Franziskus – als eine sehr zentralistische (und damit vereinheitlichende) versteht. Nirgends wird dies so deutlich, wie im gerade wieder aufkeimenden Streit um die Frage nach dem Verhältnis von Universalkirche und Ortskirchen.

Wenn mich der Besuch der vier Gemeinschaften also eines gelehrt hat, dann ist es die Tatsache, dass dem Katholizismus ein wenig mehr Gelassenheit sehr gut zu Gesicht stünde. Er steht durch die Hl. Schrift und die Tradition heute auf einem sehr gefestigten Fundament. Der Begriff des „Katholischen“ darf (und kann!) jedoch nicht überall einheitlich mit Leben gefüllt werden; vielmehr sollte sich – und das lehren uns unsere Klöster – die Kirche vor Ort (unter den jeweiligen Bedingungen) immer wieder neu in die Gesellschaft inkulturieren und aus ihr erwachsen. Vielfalt ist kein Sakrileg, ganz im Gegenteil: Die Einheit der Kirche konstituiert sich erst durch ihre Vielfalt.

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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