In München ist vorgestern das Interviewbuch „Benedikt XVI. Letzte Gespräche“ vorgestellt worden. Darin wirft der emeritierte Papst im Gespräch mit dem Journalist Peter Seewald einen Blick zurück auf sein Leben und insbesondere sein Pontifikat. Bereits vorab wurde der emeritierte Papst dafür kritisiert, ein solches Buch zu veröffentlichen, unter anderem, weil er darin die deutsche Kirche stark kritisiert. Folglich hat gestern der päpstliche Sekretär Georg Gänswein, der das Buch in München präsentierte, seinerseits die Kritiker Benedikts kritisiert – leider auf eine sehr polemische Art und Weise. Warum hat er das nötig?
Beginnen wir einmal von vorne: Wie es bei Buchvorstellungen üblich ist, veröffentlichten mehrere Medien vorab Auszüge aus dem Interviewbuch, so zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung und die Bild-Zeitung. Dort konnte man also lesen, was Benedikt über den Skandal um den Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson oder über die Vatileaks-Affäre denkt, wie er seinen Rücktritt empfand und wie er seine Entscheidung nach inzwischen mehr als drei Jahren rückblickend bewertet. All das ist ohne Zweifel nicht uninteressant, gerade angesichts der Tatsache, dass es nach dem Rücktritt Benedikts nicht wenige Gerüchte, ja sogar Verschwörungstheorien um die wahren Gründe dafür gab – und immer noch gibt.
Nicht minder interessant, aber doch vor allem verwunderlich ist die Tatsache, dass Benedikt sich in der Interviewbuch konkret zur Situation der katholischen Kirche in Deutschland äußert. In der Süddeutschen Zeitung wurde er am Donnerstag folgendermaßen zitiert:
„Scharf geht der frühere Münchner Erzbischof mit der katholischen Kirche in Deutschland ins Gericht. Er beklagt einen ‚etablierten und hochbezahlten Katholizismus‘ samt ‚Überhang an ungeistlicher Bürokratie‘, eine ‚Theoretisierung des Glaubens‘ und einen ‚Mangel an einer lebendigen Dynamik‘.“
– Quelle: sueddeutsche.de
Verwunderlich ist diese Aussage, weil Benedikt bei seinem Rücktritt mehrfach angekündigt hatte, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen und die Kirche fortan nur noch betend zu begleiten. So berechtigt diese Kritik vielleicht auch sein mag (das ist aber eine andere Frage!), ist ein solcher Eingriff in die aktuelle kirchenpolitische Debatte mit dem Vorhaben der schweigenden Zurückgezogenheit kaum vereinbar, zumal Joseph Ratzinger als Theologieprofessor und Erzbischof von München und Freising jahrelang selbst (aktiver) Teil dieses Systems war.
Dass dieser Widerspruch nicht unkommentiert bleiben würde, war zu erwarten. Noch vor der offiziellen Präsentation des Buches vorgestern äußerten sich mehrere Theologen zu den Aussagen des emeritierten Papstes. Thomas Sternberg, Vorsitzender des ZdK, wies die Aussagen Benedikts zur Kirche in Deutschland entschieden zurück. Stefan Orth führte aus, dass durch die in einem Interview zwangsläufig verkürzte dargestellten Aussagen „manche (Vor-)Urteile aus früheren Zeiten etwa zum europäischen Katholizismus oder auch zum Zustand der Theologie wieder aufgewärmt und auf diese Weise alte Konflikte neu befeuert [werden]“ (Quelle: katholisch.de). Und Andreas Batlogg brachte die Kritik folgendermaßen auf den Punkt:
„Aber die Bemerkungen über die deutsche Kirche – und Benedikt war mal Erzbischof von München und Freising und viele Jahre Theologieprofessor – die sind einfach unangebracht, das teile ich nicht über ein Interview mit.“ […]
„Es ist einfach so: Ich denke Benedikt ist sich treu geblieben. Er ist sich treu geblieben, ich bin da Feindbildern und Klischees begegnet, die ich aus den 70er Jahren kenne. Das war ganz ähnlich, als er aus der Würzburger Synode ausgestiegen ist, diesem groß angelegtem Versuch, das Zweite Vatikanische Konzil in Deutschland zu etablieren, zu inkooperieren – auch da ist er ausgestiegen und meinte mal: ‚Es kommt auf Prophetie an, nicht auf Bürokratie.‘ Und jetzt sagt er dem Peter Seewald, es gibt diesen etablierten, hochbezahlten Katholizismus in Deutschland, es gibt eine Gewerkschaftsmentalität unter angestellten Katholiken, es gibt eine ungeistliche Bürokratie, einen Überhang an Geld. Auch Josef Ratzinger war Teil dieses Systems. Mit diesem Geld kann man viele gute Dinge machen. Es ist seine Entweltlichungsthese – aber ich merke, da hat er Feindbilder, die er über Jahrzehnte behalten hat, und jetzt wo er wieder viel fitter ist als bei seinem Rücktritt im Februar 2013, da kommen diese Dinge wieder. Ich denke er schadet sich damit selbst.“
– Quelle: deutschlandfunk.de
Keine Frage – diese Kritik ist spitz und sehr pointiert formuliert. Und dennoch vertritt Batlogg hier im Kern eine streitbare These: dass es in der deutschsprachigen Theologie nämlich zwei große ‚Schulen‘ bzw. Denkformen gibt, die sich in zentralen Fragen bis heute gegenüber stehen. Dass angesichts dessen zumindest kritisch angefragt werden darf, ob es sinnvoll ist, diese Streitigkeiten in einem Interviewbuch aufkochen zu lassen, ist meines Erachtens legitim.
Georg Gänswein sieht das offenkundig nicht so. Während der Präsentation des Interviewbuches fiel dem Erzbischof zu dem Echo, das das Buch vorab bereits ausgelöst hatte, nur folgender schmallippiger und zudem unsachlicher Kommentar ein: „Getroffene Hunde bellen“ (Quelle: katholisch.de).
Warum hat Gänswein einen solchen Kommentar überhaupt nötig? Man wird den Eindruck nicht los, dass er mit der Kirche in Deutschland auf Kriegsfuß steht, ja dass er ihr gegenüber sogar verbittert ist. Und anders als bei Benedikt XVI. scheint diese Verbitterung nicht einmal auf der theologischen Ebene zu liegen, sondern wirkt wirklich rein persönlich. Deutlich wird das auch anhand einer weiteren Aussage, die Gänswein vor wenigen Wochen getätigt hat. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, eines Tages ein Bischofsamt in Deutschland zu bekleiden, verneinte er diese mit den Worten: „Das kirchliche Establishment hat von mir ein negatives Bild. Zu deren Lieblingen gehöre ich nicht“ (Quelle: Radio Vatikan). Diese Aussage ist wohlgemerkt noch als eine seiner milderen zu bezeichnen.
Offenkundig gilt Gänsweins Kommentar, dass „getroffene Hunde bellen“, nicht nur für die Kritiker des Buches, sondern auch – und vor allem – für ihn selbst.
Die Aussagen vom emeritierten Papst sind nicht wirklich überraschend. Dass er sich in das tagesaktuelle kirchliche Geschehen eingemischt hat, kann ich nicht sehen. Einmischen ist etwas völlig anderes. Er hat z. B. keine konkreten Forderungen bzgl. des kirchlichen Lebens in Deutschland formuliert, das wäre Einmischen. Auch Andreas Batlogg hat Feindbilder, die er über Jahrzehnte behalten hat, das ist nur menschlich. Die Aussage von Batlogg im Deutschlandfunk "Dieses Buch sollte es nicht geben" finde ich übertrieben. Wenn der Papst Franziskus kein Problem mit dem Buch hat sollte es okay sein. Wer ist er um darüber zu urteilen? Es muss niemand das Buch lesen den es nicht interessiert.
Der Kommentar von Gänswein? Etwas mehr Schweigen würde diesem Mann sehr gut tun.
Vielen Dank für den Kommentar! Die Frage ist ja, was man mit "tagesaktuellem Geschehen" meint und wie genau man "einmischen" definiert. Ich finde durchaus, dass die Aussage des Papa em. sehr konkret ist, zumindest, was es den Befund angeht. Von daher kann ich sehr wohl nachvollziehen, dass die Aussage nicht ohne Widerworte geblieben ist.
Batlogg formuliert ohne Zweifel spitz. Einige Aussagen von ihm finde ich ebenfalls übertrieben, so auch die von Ihnen zitierte. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass Batlogg während des Interviews ziemlich aufgebracht gewesen sein muss. Da trifft man schnell überspitzte Aussagen, vielleicht ist ihm das ja widerfahren?
Der Satz zu Gänswein trifft den Nagel wohl auf den Kopf 🙂
Herzliche Grüße
Matija Vudjan