Seit dem gescheiterten Militärputsch im vergangenen Sommer hat sich die politische Situation in der Türkei massiv zum Negativen geändert: Wer als regierungskritisch gilt, muss fürchten, als mutmaßlicher Terrorist gefangen genommen zu werden – sofern das nicht bereits geschehen ist. Das gilt für oppositionelle Politiker wie auch für Journalisten und die Zivilbevölkerung. In diesen Tagen sorgt der Fall des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel für Aufsehen: Dieser befindet sich wegen vermeintlicher Kontakte zu einer „terroristischen Vereinigung“ seit fast zwei Wochen in Polizeigewahrsam – und wahrscheinlich vor einer ungewissen Zukunft.
Mitten in dieser brisanten Situation will Präsident Erdoğan das politische System der Türkei vollkommen auf den Kopf stellen: Aus einer parlamentarischen Demokratie soll ein Präsidialsystem werden, das dem Präsidenten weitreichende politische Befugnisse einräumen würde. Am 16. April wird ein Volksentscheid über die geplante Verfassungsreform entscheiden. Deswegen wird momentan Wahlkampf gemacht – auch in Deutschland: In der letzten Woche erst hat der türkische Premier Binali Yildirim Wahlkampfveranstaltung besucht; im März will es ihm Erdoğan selbst gleichtun.
Die entscheidende Frage ist: Darf man einem ausländischen Politiker, der die Meinungsfreiheit in seinem Land momentan mindestens unterminiert, hier in Deutschland eine Bühne bieten? Darf man einem solchen Politiker den Raum dafür geben, für die Abschaffung der Demokratie und des Rechtsstaates in seinem Land zu werben – zumal dieses Werben auf dem Boden unserer freiheitlichen Demokratie geschähe?
Keine Frage: Es ist ein ekliges, bisweilen abstoßendes Gefühl, dass jemand wie Präsident Erdoğan hier in Deutschland in wenigen Wochen (unter anderem) dafür plädieren könnte, in der Türkei wieder die Todesstrafe einzuführen. Vor diesem Hintergrund kann ich es sehr wohl nachvollziehen, dass einige Politiker (zum Beispiel Cem Özdemir und Sevim Dagdelen) dafür werben, den Auftritt des türkischen Präsidenten durch die Bundesregierung verbieten zu lassen, und der FDP-Politiker Tobias Huch sogar eine Petition gegen den Auftritt gestartet hat.
Und dennoch stellt sich mir die Frage: Ist es nicht unsere Pflicht als aufrichtige Demokraten, diesen möglichen Auftritt Erdoğans zuzulassen und zu ertragen, so schmerzhaft er letztlich auch sein mag? Wäre es nicht sogar ein Schuss in unser eigenes Mark, von unserem Ideal der Meinungsfreiheit Abstand zu nehmen, auch wenn der türkische Präsident eben dieses Ideal in seinem Land mit Füßen tritt?
Ich glaube, dass unsere Demokratie davon lebt, dass sie von Grenzgängern wie Recep Tayyip Erdoğan herausgefordert wird. Ich bin davon überzeugt, dass es gerade eine Zeichen der Rechtsstaatlichkeit wäre, den Auftritt Erdoğans zuzulassen, zumal ein solcher Auftritt dazu genutzt werden könnte, dem türkischen Präsidenten aufzuzeigen, was das Wesen einer freiheitlichen Demokratie ist. So wie Präsident Erdoğan in Deutschland Meinungsfreiheit genießt, so genießen sie auch wir: Wir haben das Privileg, das Recht (und auch die Pflicht), bei einem möglichen Auftritt Erdoğans von unserer Meinungs- und Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen und lautstark gegen die gegenwärtige Politik in der Türkei zu demonstrieren!
Der Begriff, der von türkischen Politkern neuerdings gerne gegen Deutschland gebraucht wir, ist der Begriff der Demokraite und, dass Deutschland nicht demokratisch sei, wenn Kundgebungsverbote oder andere Sanktionen im Raum stehen.
Aber was heißt Demokratie und Rechtstaatlichkeit? In den bisherigen Debatten merkt man, dass der Begriff Rechtstaat definitionsfremd genutzt wird. Denn ein Rechtstaat definiert sich durch ein unabhängiges Rechtssystem (Gerichte etc.), das sich in seiner Arbeit dem Schutz der Demokratie (Grundgesetz) widmet.
Auch der Begriff der Demokratie, der in den Debatten immer wieder angesprochen wird beschreibt eigentlich nicht einen staatlichen Zustand, in dem alles erlaubt ist, was man gerne machen würde (ansonsten könnte man einen Mord begehen, weil ich man der Meinung ist jemanden töten zu müssen). Denn zunächst basiert die Demokratie auf Gesetzen und einem in den Grundstrukturen gemeinsamen Weltbild. Durch historische Ereignisse, wie den Zweiten Weltkrieg, spielt in dem Verständnis Deutschlands neben der Demokratie, als Wahlsystem, auch eine Annahme einer Pflicht eine große Rolle. Diese Pflicht ergibt sich aus den Taten im und zum Dritten Reich hin und der daraus resultierenden Überzeugung, dass die Würde des Menschen an oberster Stelle steht und geschützt werden muss. Somit kann und darf die Bundesregierung nicht zulassen oder unterstützen, dass sich Systeme etablieren, die antidemokratische Staatsformen fordern oder fördern. Denn auch das Nutzen von demokratischen Mitteln zur Errichtung eines antidemokratischen Systems kann und darf damit nicht schweigend gebilligt oder unterstütz werden.
Auch in der Betrachtung der inner-deutschen Situation muss gesehen werden, dass sich in den letzten Wochen und Monaten ein immer breiterer Graben zwischen den in Deutschland lebenden Menschen aufgetan hat, die sich als der deutschen Nation zugehörig sehen oder dem türkischen Staat. Diese Tatsache zerreißt nicht nur einzelne Familien, sondern kann auch Deutschland, welches sich eigentlich durch das friedliche Zusammenleben vieler ethnischer Gruppen auszeichnet, die sich der deutschen Nation verbunden fühlen, zerreißen. Damit ist es die Aufgabe der deutschen Politiker gegenüber Ankara Flagge zu zeigen und die Überzeugungen hinter den Begriffen Demokratie und Rechtstaat klar darzustellen und zur Not auch mit konsequenten diplomatischen Mitteln.
Denn wenn die deutsche Regierung den Zustand und die Politik in der Türkei stillschweigend hinnimmt oder sogar durch die Gabe von Plattformen fördert, dann ist der Kampf gegen den Rechtsextremismus in Deutschland ad absurdum geführt und somit wären alle Aktionen des Rechtstaates gegen die NPD, die unser demokraischen System ablehnt undemokratisch und abzulehnen.
Aber so darf es nicht sein, denn die Demokratie hat Spielregeln und im Falle von Deutschland sogar einen Auftrag und dieser Auftrag muss wahrgenommen werden. Außerdem soll sich die Politik einer Nation auch nur auf ihr Staatsgebiet beschränken, damit in anderen Nationen keine Subkultur entsteht, die damit eine mehr oder weniger große Gefahr für die andere Nation darstellt. Die Nation lebt nicht von ethnischen Ursprüngen, sie lebt von einem gemeinsamen Gedankengut und Wertesystem. Somit darf die deutsche Nation die momentane Situation nicht nur passiv hinnehmen sondern muss, wie im Beispiel von Gaggenau und Köln, aktiv handeln.
Naja, dass der deutschen Politik gerade von türkischer Seite vorgeworfen wird, sie sei undemokratisch, ja gar faschistisch, ist ja kein Wunder, sondern klassische populistische Vorgehensweise: Wenn ich keine Argumente mehr habe, schreie ich einfach so laut wie möglich.
Entscheidend ist tatsächlich das Demokratie- bzw. das Staatsverständnis, da gebe ich dir Recht. Der deutsche Staat ist maßgeblich geprägt von der Erfahrungen des dritten Reiches, einer Diktatur, in der es keine Meinungsfreiheit gab und in der Andersdenkende politisch verfolgt wurden und um ihr Leben fürchten mussten.
Gerade vor diesem Hintergrund ist das Grundgesetz geschrieben worden – und gerade vor diesem Hintergrund hat die Meinungs- und Redefreiheit einen so prominenten Platz im Grundgesetz bekommen – nämlich die Nennung in Artikel 5, also ganz vorne in der Verfassung. Den Gründervätern war klar: Demokratie lebt nicht davon, dass es nur eine Meinung gibt, sondern sie speist sich ganz im Gegenteil aus einer großen Meinungsvielfalt.
Ich bleibe dabei: Gerade weil sich das deutsch-türkische Verhältnis gerade zuspitzt, müssen wir demokratische Stärke zeigen und die türkischen Minister hier reden lassen (solange es keine Sicherheitsbedenken gibt wie z. B. in Gaggenau). Es wäre geradezu töricht, ja sogar verfassungswidrig, das nicht zu tun. Wir haben andere Möglichkeiten, unseren Unmut zu zeigen: Von Kundgebungen und Gegendemonstrationen bis hin zu wirtschaftlichen Sanktionen.
LG
Matija