Heute ist ein denkwürdiger Tag: Als insgesamt 28. Mitglied tritt Kroatien der Europäischen Union bei. Für das kleine Land an der Adria ist dies zweifelsohne der „Wendepunkt in der eigenen Historie“, wie Premierminister Zoran Milanović in den letzten Tagen mehrfach erklärte. Obwohl das Land den bisher umfangreichsten Beitrittsprozess (der immerhin volle zehn Jahre dauerte) erfolgreich durchlief, herrscht angesichts des heutigen Festtages sowohl von kroatischer, als auch von EU-Seite Skepsis. Vor allem wird dies deutlich in Deutschland, wo verschiedenste Medien dem kleinen Süd-Ost-Staat die Wirtschaftsfähigkeit absprechen und prognostizieren, dass es – bereits in nächster Zukunft – das nächste Fass ohne Boden werde.
Unter diesen Medien befinden sich einige, von denen man eine europakritische Berichterstattung fast schon Standard ist, z. B. die beiden Springer-Blätter Bild[1] [2] und Welt[3]; aber auch Zeitungen, die man eigentlich mit Qualitätsjournalismus in Verbindung bringt, schlagen in dieselbe Kerbe ein: als zwei Beispiele unter vielen seien hier die WAZ[4] und die FAZ[5] genannt. Alle diese Zeitungen machen meines Erachtens einen kapitalen Fehler: sie haben vergessen, was der wirkliche Inhalt der Europäischen Idee ist!
Wer Europa nur als wirtschaftlichen Zusammenschluss verschiedener Nationen sieht, denkt zu oberflächlich. Um dies zu verstehen, müssen wir nur einen Blick zurück in unsere eigene Geschichte werfen. Vor mehr als 50 Jahren wurde die Europäische Gemeinschaft (mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge 1951 und der Römischen Verträge 1957) offiziell gegründet. Grund dafür war – unter anderem – auch ein ökonomischer Zusammenschluss. Entscheidend war aber, dass sich ein so schlimmes Ereignis wie der 2. Weltkrieg nie wieder ereignen sollte.Ja – die EU hat einen auch einen wirtschaftlichen Nutzen, vor allem aber ist sie eine kulturell-gesellschaftliche Vereinigung verschiedener Nationen, die alle ein Ideal vereint. Alle EU-Mitgliedsstaaten haben – trotz aller Diversität – eine gemeinsame kulturelle Basis und Vergangenheit: die Basis der christlich-abendländischen Entwicklung, aus der in ganz Europa die gleiche Vorstellung von Gesellschaft und Recht entstanden ist. Ja – die kroatische Wirtschaft steht im inzwischen fünften Jahr in einer starken Rezession und die Prognose für die nächsten Jahre sieht nicht gut aus.
ABER: Kroatien ist das Tor zum christlich-abendländischen Europa. In der eigenen Geschichte war Kroatien nie von restlichen europäischen Raum abgeschottet. Im Gegenteil: Im 6. und 7. Jh. wurden die Kroaten christianisiert – seitdem ist die eigene Nationalität stark mit dem Christentum verwoben. Im Mittelalter war Kroatien im Norden Teil des Habsburgischen und im Süden Teil des Venezianischen Reiches – und durch blutige und aufopferungsvolle Opfer entscheidender Faktor dafür, dass sich das osmanische Reich im 15. und 16. Jh. letztlich nie auf den gesamten Europäischen Kontinent ausweiten konnte.Auch heute zeigt sich, dass Kroatien das Tor zu Europa ist: Die kroatische Bevölkerung ist immer noch zu 90% katholisch -anders als das islamisch geprägte Bosnien oder die orthodoxen Serben und Montenegriner. Erkennbar wird dies beispielsweise auch im Schriftbereich: Die kroatische Sprache benutzt heute die lateinische Schrift – die serbische hingegen die kyrillische. Ohne hier weitere Beispiele aufzeigen zu wollen, kann man sagen, dass Kroatien die Grenze zwischen der genuin-europäischen und einer eher orientalisch-östlichen Welt darstellt. Oder anders gesagt und auf die Spitze gebracht: Kroatien ist weitaus europäischer, als so manch anderes Land in der EU!
Sicherlich: Kroatien ist noch lange nicht bereit für einen Eintritt in die Eurozone – und wird es wohl auf absehbare Zeit nicht werden. Die Europäische Union als kulturell-gesellschaftliche Gemeinschaft kann sich aber nur glücklich schätzen, ein Mitglied wie Kroatien gewonnen zu haben. Ein Land, das stellvertretend für seine Region steht, die vor gerade einmal 18 Jahren vor den Trümmern ihrer eigenen Geschichte stand, wird durch den EU-Beitritt zum Stabilitäts- und Friedensanker für das gesamte ehemalige Jugoslawien. Dies ist eine ehrenvolle Aufgabe, der sich Kroatien annehmen muss – und auch annehmen wird. Nicht umsonst hat die kroatische Regierung in den letzten Tagen mehrfach verlauten lassen, als neues EU-Mitglied Serbien bei dessen Beitrittsverhandlungen zu unterstützen. Insofern hat Premierminister Milanović absolut Recht, wenn er vom besagten „Wendepunkt in der eigenen Historie“ spricht! Wir Europäer können Kroatien deswegen nur folgendes zurufen: Dobro nam došla u Europsku uniju! Srdačno Te pozdravljamo! – Herzlich willkommen in der Europäischen Union, Kroatien!Wie ihr schon an der Länge des Kommentars merken könnt, liegt mir als gebürtigem Kroaten dieses Thema besonders am Herzen. Gerade deshalb freue ich mich auf eure Meinungen: Ist Kroatien zu Recht Mitglied der EU geworden? Kommt der Beitritt zu früh? Oder hätte das Land nie der EU beitreten dürfen? Ich freue mich auch eure Kommentare!