Bevor ich die Kritik des Papstes (die ich gleichzeitig auch als Anregung lese, dazu gleich aber mehr), möchte ich euch zunächst vorstellen, von welchen 15 Krankheiten der Heilige Vater in seiner Ansprache gesprochen hat:
1. Die Krankheit, sich „unsterblich“, „immun“ oder geradezu „unersetzlich“ zu fühlen, indem die nötigen und gewohnheitsmäßigen Kontrollen außer Acht gelassen werden. […]
2. Eine andere: Die Krankheit des „Marta-lismus“ [abgeleitet von der biblischen Figur der Marta], der übertriebenen Arbeitswut: das heißt die Krankheit derer, die sich in die Arbeit stürzen und dabei unausweichlich „den besseren Teil“ außer Acht lassen: zu den Füßen Jesu zu sitzen (vgl. Lk 10,38-42). […]
3. Es gibt auch die Krankheit der geistigen und geistlichen „Versteinerung“: Die Krankheit derer, die ein Herz aus Stein haben und „halsstarrig“ sind (Apg 7:51-60), die auf ihrem Weg die innere Ausgeglichenheit verlieren, die Lebendigkeit und den Wagemut, die sich hinter Papier verstecken und „Verwaltungsmaschinen“ werden statt „Menschen Gottes“ (Hebr 3:12). […]
4. Die Krankheit der ausufernden Planung und des Funktionalismus. Wenn der Apostel alles haarklein plant und glaubt, dass mit einer perfekten Planung die Dinge effektiv vorangehen, dann wird er zu einem Buchhalter und Betriebswirt. […]
5. Die Krankheit der schlechten Absprache. Wenn die Mitglieder ihre Gemeinschaft miteinander verlieren und der Körper seine harmonische Funktion und sein Maß, dann wird er zu einem Orchester, das Krach macht, weil seine Mitglieder nicht zusammen spielen und keinen Gemeinschafts- und Mannschaftsgeist haben. Wenn der Fuß zum Arm sagt: „Ich brauche dich nicht“, oder die Hand zum Kopf: „Ich befehle“, erzeugt das Unbehagen und Skandal.
6. Es gibt auch die Krankheit des „geistlichen Alzheimer“, der Vergessenheit der Geschichte des Heils, der persönlichen Geschichte mit dem Herrn, der „ersten Liebe“ (Apg 2:4). Dabei handelt es sich um ein fortschreitendes Absenken der geistlichen Fähigkeiten, die früher oder später zu einer schweren Handicap des Menschen führen und ihn unfähig werden lassen, autonom zu handeln, und ihn so in einem Zustand völliger Abhängigkeit von den von ihm selbst geschaffenen Selbstbildern leben lassen. […]
7. Die Krankheit der Rivalität und der Ruhmsucht (Evangelii Gaudium 95-96) – wenn das Äußere, die Farben der Kleidung und Zeichen der Ehre zum vorrangigen Lebensziel werden und man das Wort des heiligen Paulus vergisst: „Tut nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen.“ (Phil 2:1-4). […]
8. Die Krankheit der schizophrenen Existenz. Es ist die Krankheit derer, die ein Doppelleben führen, Ergebnis der typischen Heuchelei des Mittelmaßes und einer fortschreitenden geistlichen Leere, die akademische Abschlüsse und Titel nicht befriedigen können. […]
9. Die Krankheit des Geschwätzes, des Gemurmels, des Tratschens. Von dieser Krankheit habe ich schon oft gesprochen, aber noch nicht genug. Es ist eine schwere Krankheit, die ganz einfach beginnt, manchmal nur durch zwei Gerüchtem, durch die man sich zum Herrn über jemand anderen macht und so zum „Sämann von Unkraut“ wird, wie Satan. […]
10. Die Krankheit der Vergötterung der Vorgesetzte: Das ist die Krankheit derer, die Oberen schmeicheln, weil sie hoffen, ihr Wohlwollen zu erhalten. Sie sind Opfer des Karrierismus und des Opportunismus, sie ehren die Menschen und nicht Gott (vgl. Mt 23:8-12). […]
11. Die Krankheit der Gleichgültigkeit gegenüber anderen. Wenn jeder nur an sich selbst denkt und die Ernsthaftigkeit und Wärme in seinen menschlichen Beziehungen verliert. Wenn der Fachmann sein Wissen nicht den weniger fachkundigen Kollegen zur Verfügung stellt. Wenn man etwas erfährt erhält und es für sich behält, statt es mit anderen zu teilen. Wenn man, aus Eifersucht oder Verschlagenheit, sich freut, jemanden fallen zu sehen, statt ihm aufzuhelfen und ihn zu ermutigen.
12. Da ist die Krankheit des Beerdigungsgesichtes: Das bedeutet Menschen, die mürrisch und finster drein blicken, die meinen, um ernsthaft sein zu können, ihr Gesicht mit Melancholie und Strenge anmalen zu müssen, und die die anderen, vor allem die Schwächeren, mit sturer Strenge, Härte und Arroganz behandeln. […]
13. Die Krankheit des Sammelns. Das ist wenn der Apostel eine existenzielle Leere in seinem Herzen auffüllen will, indem er Dinge anfhäuft, nicht weil er sie braucht, sondern um sich sicher zu fühlen. […]
14. Die Krankheit der geschlossenen Kreise – wo die Zugehörigkeit zum Grüppchen stärker wird als die zum Leib und, in manchen Fällen, zu Christus selbst. […]
15. Und die letzte: die des weltlichen Profits, der Zurschaustellung – wenn der Apostel seinen Dienst zu Macht umgestaltet und seine Macht zu einer Ware, um weltlichen Nutzen oder mehr Befugnisse zu erhalten. Es ist die Krankheit der Menschen, die unersättlich Befugnisse zu vervielfachen suchen und dafür imstande sind, zu verleumden, zu diffamieren und andere in Misskredit zu bringen, selbst in Zeitungen und Zeitschriften, natürlich um sich zur Schau zu stellen und sich als fähiger als die anderen zu präsentieren. […]
– Quelle : Radio Vatikan online (letzter Zugriff: 27.12.2014, 15.30h, MV); dort ist die gesamte Rede einsehbar.
Die Rede des Papstes hat in den Medien, aber auch in katholischen Kreisen sehr hohe Wellen geschlagen. Eine verständliche Reaktion, wie ich finde, wenn man sich vor Augen führt, dass man eine solche „Brandrede“ in der Regel nicht ohne triftigen Grund hält – zumal man dies dann eigentlich im geschlossenen Raum, außerhalb der Öffentlichkeit tut. Aber: Nach mehr als anderthalb Jahren Pontifikat wissen wir, dass Franziskus eben anders „tickt“ – im positiven Sinne, versteht sich. Gerade deswegen bin ich mir sicher, dass der Heilige Vater genau weiß, warum er seine Worte gewählt hat.
Und noch ein weiteres – und das ist der Grund, warum ich auf die Rede hier im Blog überhaupt erst eingehe –: Der Paukenschlag wird ein noch viel größerer, wenn wir die Papstrede nicht einfach nur lesen, sondern sie als ‚Spiegel‘ für uns selbst verstehen! Lesen wir jeden einzelnen der 15 Kritikpunkte sorgfältig durch, wird uns wohl auffallen, dass einige (vielleicht sogar alle) auf uns selbst zutreffen. Davon nehme ich mich selbst überhaupt nicht aus – und wenn ich den Papst richtig verstehe, er sich selbst auch nicht.
Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr wird häufig genutzt, um Vorsätze für das kommende Jahr zu formulieren. Die 15 Krankheiten, die Franziskus der Kurie und uns vorwirft, können hier als eine (geistige) ‚Anleitung‘ dienen. Nutzen wir diese Möglichkeit, die sicherlich ein Blick in das Innerste seiner selbst ist, die ich mir aber gerade deshalb umso fruchtbarer vorstelle – auch im Hinblick auf das kommende Jahr!