Zum Religionsunterricht an staatlichen Schulen

25. November 2014 Gesellschaft
von Matija Vudjan

Einleitung

Die Folie, hinter der das Thema des heutigen Beitrages steht, ist wohl eine der ältesten Fragen im staats- und verfassungsrechtlichen Diskurs: Wie kann, wie soll das Verhältnis von Staat und Religion bzw. Staat und Kirche aussehen? Historisch betrachtet war dieses Verhältnis – insbesondere aus dem christlichen Blickwinkel – ein dynamisches; exemplarisch möchte ich an dieser Stelle die Situation vor und nach der konstantinischen Wende (als sich das Christentum innerhalb weniger Jahrzehnte von einer verfolgten Sekte zur Staatsreligion wandelte) sowie im Umkreis des 30-jährigen Krieges (der sowohl von Staat als auch Kirchen für eigene Zwecke missbraucht wurde – man denke hier nur an den bekannten Ausspruch „cuius regio – eius religio“) nennen.

Heute wird das Staat-Kirchen-Verhältnis vor allem von staatlich-gesellschaftlicher Seite kritisch beäugt. Kritiker vertreten die Auffassung, dass Staat und Kirche in Deutschland heute zu sehr miteinander verzahnt seien. Als Paradebeispiel wird in diesem Zusammenhang immer wieder das typisch „deutsche“ Phänomen der Kirchensteuer genannt.

Dabei hat genau dieses Phänomen mit der Verzahnung von Staat und Kirche nur sehr wenig gemein, ist doch der Einzug der Steuer nur eine Dienstleistung, die der Staat in Auftrag der Kirche erledigt (aber das ist ein anderes Thema). Fast genauso häufig diskutiert ­­— und de facto viel grundlegender, weil auf verfassungsrechtlicher Ebene befindlich — ist die Frage nach der Stellung des Religionsunterrichtes im öffentlichen Bereich.

Verfassungsrechtliche Grundlegung

Befassen wir uns also mit dieser Frage, ist es unabdingbar, in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu schauen. Dieses postuliert — ich habe es hier im Blog ja bereits des Öfteren erwähnt — in seinem ersten Artikel:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Die Würde des Menschen garantiert diesem auf staatlicher Ebene — neben einigen Pflichten — mehrere Rechte, so unter anderem das Recht auf Meinungsfreiheit, das Recht auf Pressefreiheit, aber auch das Recht auf eine freie Religionsausübung. So sagt das Grundgesetz in Art. 4:

„(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Der Religionsunterricht ist in Deutschland verfassungsrechtlich verankert.

Eine freie Religionsausübung, wie sie das Grundgesetz garantiert, kann nach Überzeugung des Staates aber nur dann gewährleistet werden, wenn sich jeder Bürger – anhand seines persönlichen Wissensstandes – aus freien Stücken für eine Religion (und damit gegen andere Religionen) entscheiden kann. Um jedem Bürger das Erlangen eines solchen Wissensstandes zu ermöglichen, verpflichtet sich der Staat dazu, an Schulen ein möglichst vielfältiges Wissen über Religion, Ethik u. ä. zu vermitteln. Aus diesem Grund wird in Art. 7 GG der Religionsunterricht (übrigens als einziges Schulfach) verfassungsrechtlich verankert:

„(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.
(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.
(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“
[…]

Diese Regelung gilt für alle Bundesländer, mit Ausnahme derer, die schon vor Inkrafttreten des Grundgesetzes eine eigene Regelung hatten (sog. Bremer Klausel). Deutlich wird an dieser Stelle übrigens, dass es in Deutschland – anders als manche es gerne behaupten – keine vollkommene Verzahnung, ja gar Vereinheitlichung von Staat und Kirche gibt (wie dies beispielsweise in Großbritannien der Fall ist), sondern, dass wir vielmehr von einem Nebeneinander von Staat und Kirche ausgehen müssen.

Wie der IST-Zustand aussieht

Ich habe es bereits erwähnt: In Art. 4 GG verpflichtet sich der Staat selbst dazu, seine Bürger in Fragen der Religion und der Ethik zu mündigen Bürgern zu erziehen. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass der (klassische, konfessionell gebundene) Religionsunterricht genau dies zu erreichen versucht: Im Katholischen Religionsunterricht werden nicht ausschließlich „katholische“ Themen gelehrt; im Gegenteil: i. d. R. werden unterschiedliche Themen (beispielhaft sei an dieser Stelle das Thema „Leben nach dem Tod“ genannt) aus verschiedenen Glaubensperspektiven heraus behandelt. Schüler, die einen guten Religionsunterricht besuchen, erhalten also Einblick in (um beim Thema zu bleiben) Jenseitsvorstellungen verschiedener Religionen und können diese in Bezug zur Katholischen Lehre bzw. Vorstellung setzen.

Um diese Gedanken ein wenig enger zu führen: Der Religionsunterricht soll nicht sein und ist auch nicht Ersatz- bzw. Zusatzform einer kirchlich-religiösen Katechese, sondern schaut – von einem religiösen „Startpunkt“ heraus – auf verschiedene religiöse Konzepte und Themen. Schüler, die am Religionsunterricht teilnehmen, erhalten also einen vielfältigen Einblick und werden – ganz gemäß Art. 4 GG – zu mündigen Bürgern, die sich aus einer Position des Wissens frei für oder gegen eine bestimmte Form der Religionsausübung entscheiden können. Oder, um den Gedanken zuzuspitzen: Ein Schüler hat auch (oder gerade) dann tatsächlich einen sehr guten Religionsunterricht besucht, wenn er sich begründet gegen eine — wahrscheinlich seine bisher eigene — Religionsausübung entschieden hat.

Ein Ausblick

Ich habe jetzt sehr ausführlich beschrieben, was der Religionsunterricht sein soll. Gleichzeitig bin ich mir aber auch dessen bewusst, dass der Religionsunterricht dieses Ideal oft nicht erreicht. An dieser Stelle herrschst also zweifelsohne noch Verbesserungspotential: sowohl in der Lehrerausbildung als auch in der Konzeption und Gestaltung des (katholischen und evangelischen) Religionsunterrichtes.

Eine weitere Anschlussfrage bedarf auch noch der (dringenden) Klärung: Das von mir vorgestellte Modell des konfessionellen Unterrichtes ist eindeutig bezogen auf katholische und evangelische Schüler. Wie aber sieht die Situation bei muslimischen, jüdischen, buddhistischen oder Schülern und Schülerinnen anderer christlicher Konfessionen aus? Auch wenn es deutschlandweit inzwischen einige islamische Ausbildungszentren für Lehrer und Lehrerinnen gibt und islamischer Religionsunterricht bereits an einigen Schulen unterrichtet wird, sehe ich insbesondere ich diesem Bereich (vor allem in Bezug zu anderen Religionsgemeinschaften) noch immensen Nachholbedarf! Zumal ich bisher konfessionslose Schülerinnen und Schüler hier vollkommen außer Acht gelassen habe!

Fazit

Grundsätzlich aber denke ich, dass mit dem aktuellen Modell des Religionsunterrichtes am besten erreicht werden kann, wozu sich der Staat im Grundgesetz verpflichtet: Die Ausbildung von Schülerinnen und Schülern zu mündigen, freien und selbstbestimmten Bürgern. Ich glaube, dass es für die Zukunft Aufgabe sein muss, dieses Verständnis von Religionsunterricht wieder verständlich und transparent zu machen. Viele Kritiker, die den Religionsunterricht als verkappte Katechese bezeichnen, könnte man so klar widerlegen. Denn eine Katechese, schon gar eine verkappte, will (und kann) der Religionsunterricht nicht sein!

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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