Nachtrag zu „Christentum und Waffengewalt“ (3.8.14)

27. August 2014 Ethik, Gesellschaft, Theologie
von Matija Vudjan
Die Situation im Nahen Osten spitzt sich immer weiter zu. Deutlich wird dies nicht nur an der schrecklichen Hinrichtung des US-amerikanischen Journalisten James Foley, sondern auch an der verstärkten militärischen Präsenz der westlichen Mächte in der Region – sei es durch eigenständige Angriffe (wie im Falle der US-Regierung) oder durch Waffensendungen (z. B. durch die Bundesregierung). Auch die Deutsche Bischofskonferenz hat den Ernst der Lage inzwischen erkannt und sich vorgestern zu der Situation geäußert.


Zur Erinnerung: In meinem Beitrag „Christentum und Waffengewalt“ vom 3.8. habe ich herausgearbeitet, dass die Botschaft des Evangeliums grundsätzlich eine Botschaft des Friedens ist. Gemäß des Friedensgebotes Jesu (vgl. Mt 5,38) ist es Aufgabe eines Christen, sich möglichst immer für den Frieden einzusetzen, d. h., der Gewalt friedlich entgegenzutreten.

Entscheidend dabei ist, dass der Friedenseinsatz nicht nur für uns selbst geschehen darf – im Gegenteil: da wir selbst durch ein Leben in Frieden privilegiert sind, muss es unsere Aufgabe sein, in anderen Regionen dieser Welt Gewalt zu verhindern – und damit Frieden zu ermöglichen. In diesem Sinne muss es legitim sein, sich – und auch andere Menschen – im Zweifel mit Waffen gegen ausufernde Gewalt zu verteidigen.

Papst Franziskus sagte vor wenigen Tagen auf einer Pressekonferenz während seines Rückflugs aus Südkorea: „Wo es einen unrechtmäßigen Aggressor gibt, ist es berechtigt, ihn zu stoppen. Ich unterstreiche das Verb stoppen, nicht bombardieren oder Krieg führen.“ Während der Heilige Vater in seiner Aussage noch relativ allgemein geblieben ist, hält die Deutsche Bischofskonferenz den Gebrauch von Waffen inzwischen für legitim – und vertritt damit faktisch die gleiche Position wie ich vertritt. Die folgende Mitteilung des ständigen Rates der DBK zur aktuellen Situation im Irak und in Syrien führt diese Argumentation noch weiter aus:

„Der Terror im Irak muss aufgehalten werden“

„Der Irak, seit Jahrzehnten geschunden durch Diktatur, Krieg und Bürgerkrieg, erlebt seit einigen Monaten einen neuen Tiefpunkt seiner jüngeren Geschichte. Die Terrororganisation ISIS (seit Kurzem auch ‚Islamischer Staat‘ genannt), die schon seit einiger Zeit größere Gebiete in Syrien kontrolliert, hat in den zurückliegenden Monaten etwa ein Drittel des irakischen Staatsgebietes in ihre Gewalt gebracht und ein grenzüberschreitendes sogenanntes ‚Kalifat‘ errichtet. Die Millionenmetropole Mossul ist in ihre Hände gefallen, ebenso andere wichtige Städte. Dabei gehen die sunnitischen Dschihadisten mit ungeheurer Grausamkeit vor. Alle, die sich ihrer Version des Islam nicht unterwerfen wollen, haben zu leiden – besonders aber die religiösen Minderheiten. In der Folge von Zwangskonversionen, Vertreibung und Mord stehen die Christen und die kleine Glaubensgemeinschaft der Jesiden im Herrschaftsgebiet der Terror-Milizen vor der Auslöschung. Sie versuchen, in die autonome Kurdenregion zu fliehen, um Leib und Leben zu retten. Für die Christen bedeuten die Einnahme von Mossul und der christlichen Stadt Karakosch (das biblische Ninive) weitere Stationen des Martyriums, das mit dem Bürgerkrieg nach der Invasion des Irak (2003) begann. In den zurückliegenden Wochen hat die internationale Gemeinschaft – vor allem die Vereinigten Staaten – erfolgreich begonnen, sich dem mörderischen Treiben entgegenzustellen.

Gemeinsam mit Papst Franziskus und den Bischöfen im Irak fordern wir: Der Terror muss aufgehalten werden, und die unzähligen Vertriebenen müssen die Chance erhalten, zügig in ihre Heimat zurückzukehren. Deshalb begrüßen wir es, dass die Staatengemeinschaft in diesen Tagen intensiv über eine wirkungsvolle Bekämpfung der ISIS-Terroristen berät. In Deutschland wird vor allem über die Lieferung von Waffen an die kurdischen Kämpfer diskutiert, die sich dem Ansturm von ISIS entgegenstellen. Dazu möchten wir als Bischöfe festhalten: Militärische Maßnahmen, zu denen auch die Lieferung von Waffen an eine im Konflikt befindliche Gruppe gehört, dürfen niemals ein selbstverständliches und unhinterfragtes Mittel der Friedens- und Sicherheitspolitik sein. Sie können aber in bestimmten Situationen auch nicht ausgeschlossen werden, sofern keine anderen – gewaltfreien oder gewaltärmeren – Handlungsoptionen vorhanden sind, um die Ausrottung ganzer Volksgruppen und massenhafte schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die rechtliche Pflicht der Staaten, gegen Völkermord aktiv tätig zu werden, und die sogenannte ‚Schutzverantwortung‘ (responsibility to protect) zur Abwehr schlimmster, viele Menschen bedrohender Verbrechen. Diese Maßgabe entspricht den Grundsätzen der katholischen Lehre über den gerechten Frieden.

Die Lage im Orient wirft für viele in unserer Gesellschaft die Frage nach der Rolle des Islam auf. Besonders verstörend wirkt es, dass Hunderte Muslime, die in Europa gelebt haben, sich dem Kampf von ISIS und anderen militanten oder terroristischen Organisationen angeschlossen haben. Die deutschen Bischöfe stellen sich auch weiterhin all jenen entgegen, die das Feindbild eines seinem Wesen nach gewalttätigen Islam propagieren. Islam und ISIS sind nicht dasselbe. Vielmehr tobt in der muslimischen Welt selbst ein hitziger, manchmal erbarmungsloser und mörderischer Kampf um das rechte Verständnis der eigenen Religion und zu Recht wird immer wieder auf die große Zahl der Muslime hingewiesen, die Opfer dieses Konflikts werden. Hier sind die muslimischen Religions- sowie Staatsführer in besonderer Weise gefordert, Position zu beziehen. Dennoch: Die überwältigende Mehrheit der friedliebenden Muslime muss sich der Frage stellen, welche Faktoren den beängstigenden Entwicklungen in der eigenen Religionsgemeinschaft zugrunde liegen. Nur auf Fehler, Versäumnisse und Schuld zu verweisen, die außerhalb der islamischen Kultur liegen, greift zu kurz.

Die Opfer der Katastrophen im Mittleren Osten brauchen unmittelbare humanitäre Unterstützung. Dies ist nicht nur eine Aufgabe der Staaten. Alle können zur Hilfe beitragen, dazu gehört auch die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Wir danken allen, die bereits auf vielerlei Weise helfen und bitten die Menschen in Deutschland, gleich welcher Religion oder Weltanschauung sie anhängen, das Los der Bedrängten durch ihre Spende zu erleichtern. Caritas international, das auf Not- und Katastrophenhilfe spezialisierte Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, sorgt gemeinsam mit den Partnern vor Ort für eine wirksame Unterstützung der Notleidenden.

Wir rufen die Gläubigen zum nicht nachlassenden Gebet für die Menschen im Mittleren Osten auf. Es gilt den verfolgten und bedrängten christlichen Glaubensgeschwistern, aber auch allen anderen Opfern von Willkür und Gewalt. Möge der allmächtige und barmherzige Gott in jener Weltgegend Wege des Friedens weisen, die durch die biblische Geschichte besonders ausgezeichnet ist und in der auch der Islam seinen Ursprung hat!“
– Quelle: dbk.de

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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