Fußball und die Perversion von Religion

13. Juni 2014 Gesellschaft, Theologie
von Matija Vudjan
Gestern fand in São Paulo das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft statt. Das Spiel zwischen Brasilien und Kroatien endete nach einigen fragwürdigen Entscheidungen 3:1 für den Gastgeber. Ein Elfmeter, der faktisch keiner ist, bietet natürlich Potential, um sich aufzuregen – das soll hier aber nicht Thema sein. Viel interessanter sind für mich als Theologe hingegen die Szenen mit „religiöser Prägung“ im gestrigen Spiel.


Ich beziehe mich auf zwei ganz spezielle Szenen: zum einen den Jubel des brasilianischen Superstars Neymar unmittelbar nach seinem Tor zum 1:1 in der 29. Minute; zum anderen die Reaktion von Fred angesichts des vermeintlichen Fouls an ihm in der 69. Minute, das zum Elfmeter geführt hat. Beide Szenen sehen nahezu gleich aus: Sowohl Neymar als auch Fred breiten ihre Arme weit aus und schauen nach oben in den Himmel. Ganz nach dem Motto: Dank sei Gott für das Tor! Dank sei Gott für den Elfmeter!

Religiöse Symbole im Fußball

Gestern an der entscheidenden Szene beteiligt: Fred.
Foto (Archiv): Fotos flu/Flickr; Lizenz: CC BY 2.0

Fußballer stellen ein Abbild der gesellschaftlichen Struktur dar; insofern ist es normal, dass viele Fußballer religiös sind – ganz unabhängig davon, ob dies auf christliche, muslimische, oder andere Weise geschieht. Gleichzeitig sind viele Fußballer so weit extrovertiert (neben Talent und Disziplin ist das vielleicht eine Grundvoraussetzung, um Fußballer werden zu können), dass sie ihren Glauben durch sichtbare Zeichen wirksam in der Öffentlichkeit präsentieren. Für den Zuschauer ist es nichts besonderes, wenn sich manche christliche Spieler beim Einlaufen in das Stadion bekreuzigen oder wenn ein muslimischer Spieler wie Mesut Özil unmittelbar vor Spielbeginn auf dem Platz in sich geht und ein Gebet zu Gott spricht.

Ich habe mit dem öffentlichen Bekunden von religiösen Überzeugungen kein Problem – im Gegenteil: als Theologe und gläubiger Katholik begrüße ich diese natürlich. Es gibt allerdings bestimmte Grenzen, die gestern Abend meines Erachtens nur zu deutlich geworden sind.

Wenn ich zum Beispiel sehe, dass sich ein Spieler vor Spielbeginn bekreuzigt oder betet, dann gehe ich davon aus, dass er beispielsweise für ein gutes und faires Spiel (beider Mannschaften) oder dafür, dass alle Spieler gesund bleiben, sich also niemand verletzt, betet. Ein anderes Beispiel: Wenn sich ein Fußballer bekreuzigt, nachdem er ausgewechselt worden ist, gehe ich nicht davon aus, dass er in diesem Moment für den Sieg seiner Mannschaft betet, sondern, dass er ein Dankgebet dafür ausspricht, dass er selbst eine (hoffentlich) gute Leistung erbracht hat und er sich nicht verletzt hat.

Das Kreuz im Moment des Pfiffes

Beim gestrigen Eröffnungsspiel habe ich davon auf Seiten der Brasilianer nichts gesehen: Neymar hat sich nach beiden Toren theatralisch fallen lassen und hat in Richtung Himmel geschaut; Fred hat sich unmittelbar nach dem Elfmeterpfiff bekreuzigt und in Richtung Himmel gezeigt.

Theologisch halte ich beide Gesten – vor allem aber letzere – für problematisch. Neymar dankt in seinem Jubel Gott dafür, dass er ihm und der brasilianischen Nationalmannschaft etwas Gutes getan hat. Gleichbedeutend damit ist aber auch der Dank dafür, dass Gott den Kroaten etwas Schlechtes getan hat. Fast schon makaber finde ich den „Dankesgruß“, den Fred nach seiner Schwalbe im Richtung Gott geschickt hat, angesichts dessen, dass wir davon ausgehen können, dass wir in der vorhergehenden Szene von einer bewussten Schwalbe, also einem absichtlichen Verstoß gegen die Regeln des Fairplay ausgehen können.

Das theologische Problem

Unabhängig davon, dass beide Reaktionen eine anthropomorphe Dimension, also dass Gott aktiv in das fußballerische Geschehen (oder allgemeiner ausgerückt: in jedes menschliche Geschehen) eingreife, haben, die in der Theologie größtenteils negativ gesehen wird, ist es christlich-theologisch gesprochen auch vollkommen falsch, Gott dafür zu danken, dass jemand anderem Schlechtes widerfahren ist; geschweige denn, selbst dafür verantwortlich zu sein. Getreu der goldenen Regel, die alle christlichen Gebote zusammenfasst: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten.“ (Mt 7,12)

Abschließende Gedanken

Vorbilder im christlichen Sinne waren die Herren Neymar und Fred gestern zwar nicht. Ich möchte die beiden deswegen auch nicht verurteilen, zumal auch viele andere Spieler aus anderen Ländern in ähnlichen Situationen schon so gehandelt haben und die Brasilianer als gastgebende Mannschaft im gestrigen Eröffnungsspiel unter einem gewaltigen Erfolgsdruck standen. Mir geht es schlicht und ergreifend darum, dass die christliche (und eigentlich auch jede religiöse) Symbolik bestimmte theologische Bedeutungen und Hintergründe hat, die in einem solchen Fußballspiel falsch verstanden werden können – und im schlimmsten Fall zur Perversion von Religion führen können.

Ich glaube, dass weder Neymar noch Fred mit ihrem Jubel das ausdrücken wollten, was sie letztlich theologisch ausgedrückt haben. Umso mehr sollten sie sich als in der Öffentlichkeit agierende Menschen und Vorbilder der Konsequenzen ihres Jubelns bewusst sein – und dementsprechend hin und wieder auf ihre Dankgebete auf dem Fußballplatz verzichten.

Was denkt ihr über öffentliche Glaubensbekundungen auf dem Fußball- oder sonstigen Sportplätzen? Und was sagt ihr zum speziellen Fall, den ich gerade beschrieben habe? Rege ich mich zu sehr auf oder stimmt ihr mir zu? Ich freue mich auf eure Kommentare!

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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2 Kommentare zu „Fußball und die Perversion von Religion“

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