Der große Reformator? Oder vielleicht doch nicht?

26. November 2013 Theologie
von Matija Vudjan
Heute ist das erste von Papst Franziskus vollständig selbst verfasste Apostolische Schreiben, Evangelii Gaudium („Die Freude des Evangeliums“) erschienen. Hat der Pontifex bisher in einigen wenigen Interviews sowie durch sein alltägliches Handeln bereits gezeigt, welche Vision er von der Kirche der Zukunft hat, verdeutlicht er dies jetzt das erste Mal in einem öffentlichen Dokument. Welche Aussagen das Dokument trifft und ob man den Papst infolgedessen als großen Reformator bezeichnen kann, möchte ich jetzt kurz erörtern.


In der deutschen Medienlandschaft sind die Reaktionen auf das apostolische Schreiben durchweg positiv ausgefallen. Der Spiegel schreibt, dass das Dokument „eine Demonstration seines Mutes [sei], der Kirche eine Radikalkur zu verpassen.“ Die Zeit berichtet darüber, dass der Papst auf allen Ebenen der Kirche Reformen durchführen wolle. Und die Redaktion der Welt schreibt dem Schreiben sogar eine „gewaltige[] Tragweite“ und einen „revolutionäre[n] Gestus“ zu.

Unterschiedliche Sprachformen

Evangelii Gaudium impliziert also offenkundig, dass Franziskus der erste Papst seit langer Zeit ist, der die Kirche endlich wieder reformieren wolle. Zugegeben: die Deutlichkeit, mit der der Papst programmatische Aspekte anspricht, ist so noch nicht dagewesen. Sei es der Wunsch nach einer „verbeulten Kirche“, die sich nicht mit sich selbst beschäftigt, sondern sich wieder auf die Botschaft des Evangeliums besinnt und sich für die Armen einsetzt, oder auch die stark ausgeprägte Kritik am Kapitalismus, der in der heutigen Gesellschaft eine immer wichtigere Roll einnimmt: All das ist in der Sache nichts neues. Aber in der Art und Weise, wie es beschrieben wird, ist es schlicht und ergreifend eine Zäsur von großer Spannnweite.

Ein Reformator? Eher nicht.

Gerade in Bezug auf Benedikt XVI. – der hier in Deutschland ohnehin sehr kritisch betrachtet wird – impliziert das päpstliche Dokument einen völligen Umkehrschluss. Ein Irrtum, wie ich meine.

Ich habe schon des Öfteren hier im Blog darüber geschrieben, und erwähne es auch immer wieder gerne: Joseph Ratzinger stammt aus einem völlig anderen „Sprachmilieu“ als Jorge Mario Bergoglio. Der eine ist einer der renommiertesten, wenn nicht sogar der renommierteste Theologe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – die wissenschaftliche Sprache hat er auch zeit seines Pontifikats nicht abgelegt. Der andere war schon immer Seelsorger und verstand sich als Vertreter der „einfachen Leute“ – dementsprechend ist seine Sprachform eine völlig andere.

Wenn wir bei Franziskus also die Forderung finden, dass die Kirche sich wieder auf das Evangelium und somit auf die Option für die Armen besinnen müsse, so benutzt Benedikt in seinen Ausführungen den Begriff der „Entweltlichung der Religion“. Beide Expressionen meinen dasselbe: die Abkehr von materiellem Streben hin zu einer Besinnung auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Bei Franziskus wird lediglich deutlicher, was er genau meint.

Wenn man Evangelii Gaudium wirklich auf eine Revolution der Kirche zuspitzen möchte, bleibt im Grunde nur ein Themenbereich, den ich hier im Blog auch schon des Öfteren angesprochen habe: Die unterschiedliche Gewichtung von Universalkirche und Teilkirchen. Benedikt vertritt bekanntlich die Auffassung, dass die Universalkirche einen Primat gegenüber den Teilkirchen inne habe. Franziskus macht im apostolischen Schreiben jetzt deutlich, dass er hier genau die umgekehrte Meinung vertritt. Wie schon öfters erörtert: Diese Aussage stellt „kirchenpolitisch eine Bombe“ dar. Aber ob es sich dabei um die von den Medien herbeigerufene Revolution handelt, wage ich zu bezweifeln.

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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Ein Kommentar zu „Der große Reformator? Oder vielleicht doch nicht?“

  1. Interessanter Beitrag! Vielleicht könntest du ja in deinem nächsten Beitrag noch etwas genauer auf die Universal- und Teilkirchen eingehen; mich würden da ja vor allem Franziskus' Beweggründe interessieren.

    Gruß
    Andreas

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