Die WAZ feiert sich selbst – warum eigentlich?

3. April 2013 Gesellschaft
von Matija Vudjan
Heute vor genau 65 Jahren, am 3. April 1948 erschien in Bochum zum ersten Mal die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, kurz WAZ. 65 Jahre, immerhin das bis zuletzt gültige Renteneintrittsalter, ist sicherlich ein schöner Grund, sich an seine Anfänge und die eigene Entwicklung zu erinnern. Und die WAZ tut dies gebührend – mit einer 32-seitigen Sonderbeilage.


Wie gesagt, 65 Jahre, das ist eine besondere Zahl; eine Sonderbeilage, in der die Anfänge der Zeitung, besondere Momente oder auch ein Ausblick in die Zukunft gezeigt wird, ist in diesem Zusammenhang sicher etwas tolles. Auch der tägliche Ablauf von der morgentlichen Konferenzsitzung über das Drucken der fertigen Zeitung am Abend bis zur Austeilung am nächsten Morgen, wie er in der Beilage erklärt wird, ist ein sehr interessantes Hintergrundwissen.

Was mich trotz all dieser tollen Geschichten und Informationen stört, ist, dass es in der heutigen Sonderbeilage nicht ein einziges Wort der Eigenkritik gibt. Grund dazu hätte die Zeitung, die von den beiden Firmen RWE und Evonik in Anzeigen für „65 Jahre Qualitätsjournalismus“ beglückwünscht wird, aber allemal:

Wer sich ein bisschen mit der Geschichte der WAZ und ihrer hauseigenen Mediengruppe auskennt, wird, wissen, dass die Hochkonjunktur schon seit Jahrzehnten vorbei sind. In den 1970er Jahren – die WAZ war damals schon die größte Regionalzeitung Deutschlands – wurden nach und nach die konkurrierenden Zeitungen im Ruhrgebiet, die Westfalenpost, die Westfälische Rundschau und die Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung aufgekauft. Die einzelnen Zeitungen blieben journalistisch jedoch von der unabhängig.

Zeiten ändern sich aber. Durch mehrere schlecht verlaufene Engagements in Südost- und Osteuropa, das Aufkommen des Internets sowie der immer größer werdende Fernsehvielfalt in Deutschland und die daraus resultierenden schwächeren Auflagezahlen der eigenen Zeitungen verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation des Konzerns ab Mitte der 1990er Jahre zusehends. Man versuchte, dieser Entwicklung durch die Verknüpfung der einzelnen Zeitungsredaktionen untereinander entgegenzuwirken.

Höhepunkt dieser Entwicklung war die Eröffnung des sogenannten neuen Content Desks 2009. Von nun an wurden alle Titel des WAZ-Konzerns durch eine Mantelredaktion mit denselben Artikeln versorgt. De facto bedeutet dies, dass alle vier oben genannten Zeitungen – zumindest im überregionalen Teil – zu mehr als 90% (!!) den gleichen Inhalt haben! Von „Qualitätsjournalismus“ kann hier nicht mehr die Rede sein.

Seit Eröffnung des neuen Content Desks sind inzwischen fast vier Jahre vergangen. Und dennoch sieht man im WAZ-Konzern immer noch Sparpotential. So wurde zum Beispiel im Februar dieses Jahres die komplette Lokalredaktion der Westfälischen Rundschau geschlossen – 120 Mitarbeiter wurden so entlassen. Der Lokalteil wird seitdem von den konkurrierenden RuhrNachrichten eingekauft; der überregionale Teil war spätestens seit 2009 nicht mehr unabhängig (s. o.). Die Zeitung existiert also noch – eine eigene Seele hat sie aber nicht mehr.

Zwei weitere Beispiele aus der Zentrale in Essen sind vor wenigen Tagen ebenfalls an die Öffentlichkeit geraten: so sollen in nächster Zeit in NRW 200 Stellen gestrichen werden. Und heimlich, still und leise hat sich der Konzern inzwischen von WAZ Mediengruppe in FUNKE Mediengruppe umbenannt. Unter dem neuen Namen sollen die einzelnen Blätter wieder vermehrt auf Lesernähe als auf Qualität setzen, so der neue Geschäftsführer.

„Mit 65 Jahren, da fängt das Leben an“ heißt es im bekannten Schlager. Ich stelle mir persönlich eher die Frage „Quo vadis, WAZ?“ Vielleicht sollte man sich im WAZ-Konzern ebenfalls die Frage stellen, ob es nicht besser wäre, zu den eigenen Anfängen zurückzukehren und die einzelnen Zeitungstitel im Sinne einer journalistischen Vielfalt wieder unabhängig voneinander agieren zu lassen. Der Begriff des Qualitätsjournalismus würde dann jedenfalls – im Kontext der WAZ – eine vollkommen neue Bedeutung bekommen…

Nachtrag, 16:44 Uhr: Unter folgendem Link kann man sich die heutige Sondebeilage kostenlos anschauen:http://files1.derwesten.de/flashmm/PDF/WAZ_Extra_65Jahre.pdf

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
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