Es ist nicht einmal ein ganzes Jahr vergangen, seit ich davon berichtet habe, dass der Essener Traditionsverein, damals noch Viertligist, kurz vor der Insolvenz stünde und dass er, um diese noch abzuwenden, in wenigen Tagen 2,5 Millionen € aufbringen müsste.
Wie sich damals schon nach wenigen Tagen herausstellte, schaffte RWE es nicht mehr, das nötige „Kleingeld“ noch aufzubringen (im Nachhinein erwies sich dies sogar als positiv, aber dazu später mehr).Der Traditionsverein – immerhin Pokalsieger 1953 sowie Deutscher Meister 1955 – musste also Insolvenz anmelden; im deutschen Fußball ist dies gleichbedeutend mit dem Entzug der Lizenz für die aktuelle Spielklasse. Besser bekannt ist der Begriff Zwangsabstieg.
Für eine kurze Zeit stand es nach der Anmeldung der Insolvenz sogar zur Debatte, den Verein unter einem neuen Namen in der Kreisliga C, also der tiefsten deutschen Spielklasse, neu aufzubauen. Letztendlich schaffte man es aber, die Lizenz für die NRW-Liga (5. Liga) zu erhalten – und wagte dort den Neuanfang.
Den Neuanfang kann man im Falle Rot-Weiss-Essen wirklich wörtlich verstehen. Es wurde nicht nur eine neue Mannschaft zusammengestellt, ein Procedere, das nach einem Abstieg häufiger geschieht. Diese bestand hauptsächlich aus jungen Spielern, die aus der Region kommen. Neben der neuen Mannschaft entstand eine vollkommen neue Führungsriege: Sowohl der Vorstand als auch die Geschäftsführung wurden neu besetzt. Dadurch entstand – zwar durch die Insolvenz erzwungen – ein vollkommen neues Konzept: Machte man bisher immense Schulden, um eine Mannschaft zu formen, die die immer wieder viel zu hoch gesteckten Ziele verwirklichen sollte, so war man vor einem Jahr dazu gezwungen, zu sparen. Dies hatte offensichtlich den Effekt, dass man mit den eigenen Zielsetzungen deutlich zurückhaltender wurde: Obwohl RWE von allen anderen Vereinen als der Topfavorit auf den direkten Wiederaufstieg in die 4. Liga gesehen wurde, gab man als eigenes Saisonziel „nur“ den 5. Platz aus.
Und so kam es, wie es kommen durfte: Die Mannschaft spielte ohne hohen Erwartungsdruck stark auf und wurde während der Saison immer mehr zum Topfavoriten auf den Aufstieg. Von den Verantwortlichen lautete die Zielsetzung indes weiterhin Platz 5, sodass das Team weiterhin frei aufspielen konnte.
Für den weiteren Saisonverlauf hatte diese Strategie weit reichende Folgen: Die Mannschaft wurde (vor allem im Defensivbereich) immer stabiler und konnte ihrer Favoritenrolle gerecht werden und den Aufstieg samt Meisterschaft nach nur einem Jahr in der NRW-Liga vollenden. Außerdem schaffte es RWE auch noch, den Verbandspokal zu gewinnen, wodurch die Teilnahme an der ersten Runde des DFB-Pokals in der nächsten Saison garantiert ist. Und auch finanziell hat sich der mit der Insolvenz verbundene Gang in der Fünftklassigkeit ausgezahlt: Wurde Rot-Weiss vor einem Jahr noch von einer immensen Schuldenlast erdrückt, so wird der Verein am 1. Juli vollkommen schuldenfrei sein. Dies drückt sich vor allem darin aus, dass nun endlich dass maroder Georg-Melches-Stadion durch ein neues Fußballstadion ersetzt wird.
Fazit: Rot-Weiss-Essen hat nach vielen Jahren, in denen der Verein schlecht wirtschaftete und sich sportlich viel zu hohe Ziele setzte, nur notgedrungen auf ein neues sportliches Konzept gesetzt. Dass dieses zu so positiven Ergebnissen geführt hat, ist deshalb umso schöner (zumal vor der Saison niemand an der Hafenstraße damit gerechnet hat). Deshalb bin ich mir auch sicher, dass RWE, sollte das Konzept der Sparsamkeit und der Zurückhaltung weiter umgesetzt werden, für viele Vereine ein gutes Vorbild sein kann und auch selbst in eine rosige Zukunft blicken kann. Auch wenn es bis zum eigentlichen Ziel, irgendwann wieder ein Teil des deutschen Profifußballs zu sein, noch ein harter und steiniger Weg ist.