Totgesagte leben bekanntlich länger

12. Juli 2011 Gesellschaft
von Matija Vudjan
Der Koalitionsvertrag: einiges wurde schon verwirklicht.

Ein Jahr ist es jetzt her, dass in NRW eine Minderheitsregierung gebildet wurde – sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene war dies ein Novum. Deshalb war es damals auch nicht übertrieben, dass der rot-grünen Koalition von vielen Oppositionspolitikern nur eine kurze Lebensdauer prognostiziert wurde.

Umso erstaunlicher ist es, dass im bevölkerungsstärksten Bundesland auch heute noch eine Minderheitsregierung an der Spitze steht. Und macht ihre Arbeit bisher sehr gut (man beachte, dass Rot-Grün im Landtag keine eigene Mehrheit hat); immerhin sind bisher viele Aspekte des Koalitionsvertrages verwirklicht worden, darunter auch die zentrale Punkte der Abschaffung der Studiengebühren (ab dem Wintersemester 2011/2012) sowie der Abschaffung der KiTa-Gebühren (steht kurz bevor).

An dieser Stelle möchte ich mir einen kurzen Vergleich zur Situation in Berlin erlauben: Dort bekam die FDP bei der Bundestagswahl 2009 sensationelle 14,6 Prozent – hauptsächlich, weil sie im Wahlkampf in großen Tönen Steuersenkungen versprach. Weil sich dies als Lüge herausstellte, dümpelt die Partei heute nur noch bei ungefähr 5 Prozent herum – Tendenz fallend. Um genau dies zu verhindern, möchten die Liberalen ihr Wahlversprechen im (Wahl-)Jahr 2013 endlich erfüllen (wie sollte es auch anders sein). Dabei übersehen sie offensichtlich, dass viele Deutsche inzwischen keine Steuersenkungen mehr wollen, sondern mehr Wert auf den inzwischen positiv verlaufenden Schuldenabbau legen.

Im Allgemeinen erscheint die „bürgerliche“ Koalition in Berlin bei weitem nicht so stabil wie die rot-grüne Regierung in Düsseldorf, und das, obwohl sie (anders als die Nordrhein-westfälischen Kollegen) eine satte Mehrheit im Parlament haben. Während auf Bundesebene kein klarer politischer Kurs erkennbar ist (man erinnere sich nur an den Zick-Zack-Kurs in der Atomdebatte), ist die Regierung in NRW deutlich bemüht, eine bevölkerungsfreundliche Politik zu betreiben. Dies wirkt sich natürlich auch in den Umfragewerten der Parteien bzw. Regierungen aus: Wenn am kommenden Samstag Bundestags- bzw. Landtagswahl wäre, müsste die Koalition in Berlin starke Verluste hinnehmen. In Düsseldorf würde die Regierung hingegen deutlich in ihrem Amt bestätigt werden.

Foto: nrwspd.de

Eine Zäsur ist es – fragt sich nur, für wen…

28. März 2011 Gesellschaft
von Matija Vudjan

Die Bundesregierung und insbesondere Bundeskanzlerin Merkel sprachen vor zwei Wochen von einer Zäsur in der Deutschland, als das Moratorium für die sieben ältesten deutschen AKWs beschlossen waren. Nach dem gestrigen Wahlsonntag kann man durchaus von einer Zäsur sprechen – allerdings nicht in der deutschen Energiewirtschaft, sondern viel mehr in der deutschen Politik.

Tatsache ist, dass sich Schwarz-Gelb in den letzten Wochen mit fast jeder Entscheidung blamiert hat. Die Kurswechsel von Union und FDP, die eine maximale Halbwertszeit von einer Woche haben, haben letzten Endes dazu geführt, dass auch der (vermeintlich) letzte Wähler begriffen hat, dass die Regierungskoalition nur aus Lobbypolitikern besteht, die nur das wirtschaftliche Wohl der großen Konzerne im Sinn haben und dabei alles andere (und teilweise auch wichtigere) vergessen. Die Quittung für dieses Wählerverachtende Verhalten ist das Wahlergebnis in Baden-Württemberg.

Auch einen weiteren Punkt kann man sicherlich als Prämisse für das gestrige Wahlergebnis sehen: Ohne die Atomkatastrophe in Japan hätten die Grünen gestern nie ein Ergebnis von 24,2% erreicht. Und man darf auch nicht vergessen, dass der baldige Ministerpräsident Winfried Kretschmann durchaus auch als konservativer CDU-Politiker durchgehen würde – auch das hat gestern für den Wahlausgang sicher ausschlaggebend. Für die Grünen ist dieses Ergebnis die große Chance. Sie können endlich zeigen, dass sie dazu in der Lage sind, realistische Politik zu betreiben; als stärkere der beiden Regierungsparteien liegt auf ihnen ein zusätzlicher Druck. Nichtsdestoweniger glaube ich, dass die Grünen es schaffen werden, eine Realo-Politik zu betreiben, die auch den konservativen Schwaben oder Baden positiv stimmen wird.

Trotz alledem glaube ich auch, dass die Grünen der SPD auf Dauer (sowohl im Bund als auch in den Ländern) nicht gefährlich werden kann. Dafür ist die sozialdemokratische Partei in der breite der politischen Themen doch zu stark aufgestellt (und die Grünen sind immer noch zu sehr auf die Energiepolitik fokussiert). Allerdings muss sich die SPD fragen, warum sie innerhalb von zwei Wochen zwei Mal nur auf Platz drei in der Wählergunst war. Denn sollte sich die Regierung tatsächlich wieder fangen (wozu es m. E. in näherer Zukunft zwar nicht kommen wird), stünden für die SPD wirklich düstere Zeiten an.