Wir sind nicht so weit – Nachtrag zu „Gedanken zur Woche #1“ (12.1.2014)

16. Januar 2014 Gesellschaft
von Matija Vudjan
Eines vorweg: die Gedanken zur Woche vom Sonntag sind ein voller Erfolg! Die pointierten Ausführungen haben sowohl inner- als auch außerhalb des Blogs zu einer lebhaften Diskussion geführt. Da sich die meisten Kommentare und Rückfragen auf meine Aussagen zum Outing von Thomas Hitzlsperger beziehen, möchte ich diese jetzt weiter vertiefen.


Um nicht unnötige Verwirrung zu stiften, möchte ich beide Aussagen, die ich zu Hitzlspergers Coming out getroffen habe, für sich alleine stehend betrachten und erweiternd erörtern. Fangen wir also ganz chronologisch mit dem ersten Satz an:

„Es ist traurig, dass wir in unserer Gesellschaft immer noch ‚Outings‘ brauchen. Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass die Sexualität des Einzelnen Privatsache – und menschliches Grundrecht – ist?“

Hitzlspergers Outing sorgt für Diskussionen
Foto: Calcio Streaming/Flickr; Lizenz: CC BY 2.0

Entscheidend ist mir bei dieser Aussage der Zusammenhang von „Privatsache“ und „menschliche[m] Grundrecht“, den ich in einem früheren Post schon erörtert habe (siehe hier). Deswegen sei der Gedanke hier nur kurz angerissen: Der Mensch zeichnet sich als freies Wesen aus. Die menschliche Freiheit wird dort am deutlichsten, wo der Mensch sich aus freien Stücken in seine Privatsphäre zurückziehen kann. Gemäß der freiheitsphilosophischen Dimension ist die Privatsphäre also entscheidendes Kriterium der menschlichen Würde.

Privatsphäre bedeutet auch: Dasjenige, das privat ist, bleibt privat. Übertragen auf das Outing von Thomas Hitlsperger lässt sich daraus folgende Konsequenz schließen: In einer Gesellschaft, in der ein Fußballer nicht nach dem Kriterium der Leistung, sondern nach seiner persönlichen Sexualität beurteilt wird, ist dieser aus philosophisch-moralischer Sicht nicht mehr frei. Ganz im Gegenteil: er ist Getriebener der Gesellschaft.

Hierzulande benutzt man oft die Redewendung „Jedem das Seine“. Was oft einen negativen Nachhall hat, ist hier ganz und gar positivistisch gemeint: Jeder Mensch soll nach seinen eigenen Vorstellungen glücklich werden! Dieser Satz mag zwar einfach klingen, ist in Wahrheit aber nichts anderes als Wunschdenken.

Durch das Coming out Hitzlspergers wird dies nur zu deutlich: In Internetforen wird über den ehemaligen Nationalspieler hergezogen, als sei er ein Mensch zweiter Klasse, ja fast ein Vogelfreier. Und auch die mediale Berichterstattung zeugt von einer Reaktion der Gesellschaft – wenn auch in anderer Art und Weise: Allein die Tatsache, dass das Bekenntnis einer Person, homosexuell zu sein, mehrere Tage lang die Schlagzeilen bestimmt hat, wird deutlich: Homosexualität ist noch lange nicht von unserer Gesellschaft akzeptiert.

Mit meinem zweiten Satz vom Sonntag verfolge ich dieselbe Aussageabsicht, wenn auch aus einem etwas anderen Blickwinkel heraus:

„[…] Ich sehe Thomas Hitzlsperger nicht als Held. Ein Held wäre er gewesen, wenn er sich während seiner aktiven Karriere geoutet hätte. Jetzt tut er es nur mit der Sicherheit, dass ihm als Außenstehenden nichts mehr geschehen kann.“

Was ich hier sage, mag zunächst einmal streng klingen. Und es ist auch genauso gemeint angesichts der Tatsache, dass Hitzslperger am Tag nach seinem Outing davon gesprochen hat, hoffentlich aktive schwule Fußballer von einem Coming Out zu überzeugen.

Bei solch einer Frage muss folgende Gegenfrage erlaubt sein: Wenn Hitzlsperger andere Fußballer zu einem Bekenntnis ermutigen möchte, warum hat er es selbst nicht während seiner aktiven Karriere getan? Die Antwort darauf liegt auf der Hand: Er weiß genau, dass ein Outing gleichbedeutend mit dem Ende seiner fußballerischen Karriere gewesen wäre. Ich glaube, dass auch das aktuelle, postkarrieristische Bekenntnis nichts daran ändern wird.

Auf den zweiten Blick wird also deutlich: der oben zitierte Satz richtet sich nicht gegen Hitzlsperger, sondern stellt einen Spiegel unserer Gesellschaft dar: Wir sind nicht so weit, Homosexualität als etwas Privates zu verstehen; als etwas, das die Freiheit des Menschen definiert – und uns nichts angeht.

Abschließende Gedanken

Ich hoffe, dass durch meine erläuternde Worte deutlich geworden ist: Ich wollte mich mit meinen Worten keineswegs gegen Thomas Hitzlsperger positionieren. Viel mehr ging es mir darum, aufzuzeigen, dass unsere Gesellschaft – auch wenn sie sich immer wieder einredet, liberal zu sein – lange nicht so weit ist, die Sexualität des Einzelnen als etwas zu verstehen, das für das gesellschaftliche Gemeinwohl vollkommen irrelevant ist. Bis dahin ist es noch ein langer und steiniger Weg; ich hoffe, dass das Outing Thomas Hitzlspergers der erste Schritt auf diesem Weg ist, auf dem am Ziel die richtigen Entscheidungen getroffen werden.

Dieser Beitrag stammt von: Matija Vudjan

Student der katholischen Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Autor des Blogs durchgedacht.
Follow me @ Twitter!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert