Was ist eine rassistische Aussage? Ist jemand automatisch ein Rassist, wenn er oder sie etwas Rassistisches gesagt hat? Aktuell zeigt der Vorfall um den Schalker Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies, welch hohe Sensibilität hier nötig ist. Für uns heute interessanter ist aber der Umgang Tönnies‘ mit seinem Fehltritt, der offenbart, wie problematisch sein Verständnis einer Entschuldigung ist.
Eine Aussage und ihre Folgen
Dass die eingangs genannte Sensibilität zumindest in Gesellschaft und Öffentlichkeit stark ausgeprägt ist, zeigen die vielen Reaktionen auf die Aussage von Clemens Tönnies – zumal sehr viele aus dem direkten Umfeld des FC Schalke 04 kommen. Angefangen von der harschen Kritik des ehemaligen Spielers Hans Sarpei, über den Austritt des prominenten Mitglieds Peter Lohmeyer, bis hin zum Fanprotest in der ersten Runde des DFB-Pokals wird deutlich: Was Clemens Tönnies gesagt hat, wird entschieden abgelehnt.
Rufen wir uns die Aufsehen erregenden Worte des Schalker Aufsichtsratsvorsitzenden aus seinem Festvortrag „Unternehmertum mit Verantwortung – Wege in die Zukunft der Lebensmittelerzeugung“ beim „Tag des Handwerks“ in Paderborn einmal in Erinnerung:
„Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“
— Clemens Tönnies
Mit einer solchen Aussage werden ausschließlich plumpe Stereotype bedient: die Afrikaner, die aufgrund von Armut sowie mangelnder Bildung ihr Land zerstören; die Afrikaner, die – grenzenlos und ohne Rücksicht auf Verluste – nur im Sinn haben, sich fortzupflanzen. Wohlgemerkt: Immer sind es, natürlich ganz pauschal, die Afrikaner.
Es fällt schwer, zu glauben, eine solche Aussage sei bloß im Eifer des Gefechts gefallen. Zum einen, weil man davon ausgehen kann, dass Tönnies seinen Festvortrag nicht spontan gehalten hat, sondern ihn vorher vorbereitet hat. Zum anderen, weil sich im Nachgang an die Rede und das negative Echo in der Öffentlichkeit nicht wirklich der Eindruck aufgedrängt hat, Clemens Tönnies sei sich eines persönlichen Fehlverhaltens bewusst.
Deutlich wird dies nicht zuletzt durch das Statement, das Tönnies auf der Homepage des FC Schalke 04 in seiner Sache veröffentlicht hat:
„[…] als Vorsitzender des Aufsichtsrats des FC Schalke 04 stehe ich 1.000 prozentig hinter unseren Vereinswerten. Dazu gehört der Einsatz gegen Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung. Vor diesem Hintergrund möchte ich mich explizit bei euch, den Fans, Mitgliedern und Freunden des FC Schalke 04, für meine Aussage beim Tag des Handwerks entschuldigen. […]“
— Clemens Tönnies
Hier wird das Bild eines Mannes gezeichnet, der scheinbar eingesehen hat, einen Fehler gemacht zu haben, und der sich deswegen öffentlich mitteilen muss. Aber: Man wird das Gefühl nicht los, das Statement sei aufgrund von gesellschaftlichen Gepflogenheiten, ja gar aufgrund von Verpflichtungen veröffentlicht worden. Getreu dem Motto: „Weil gerade ein ‚Shitstorm‘ auf mich einprasselt, muss ich mich öffentlich äußern – und mich bestmöglich aus der Affäre ziehen.“
Von einer Einsicht, einen Fehler gemacht zu haben, geschweige denn von einem aufrichtigen Empfinden von Reue, gibt es im Statement, so mein Eindruck, kaum eine Spur. Sinnbildlich dafür ist der folgende, bereits zitierte Satz:
„Vor diesem Hintergrund möchte ich mich explizit bei euch, den Fans, Mitgliedern und Freunden des FC Schalke 04, für meine Aussage beim Tag des Handwerks entschuldigen.“
— Clemens Tönnies
Wenn man etwas falsch getan hat, wenn man jemandem Unrecht getan hat, dann sagt man diese Worte häufig sehr schnell und leicht dahin: „Ich möchte mich entschuldigen.“ Man hofft, dass sich die Situation damit bestenfalls erledigt hat. Ganz so einfach ist es aber nicht – gerade dann, wenn man den Inhalt des Wortes „Entschuldigung“ ernstnimmt.
Schuld und Vergebung
Führen wir uns vor Augen, was passiert, wenn Unrecht geschieht. Es gibt einen (oder mehrere) Täter – und ein (oder mehrere) Opfer. Zwischen Täter und Opfer entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis: Der Täter ist es, der dem Opfer Leid zufügt. Erst durch die Tat des Täters wird das Opfer zum Opfer.
Inwieweit sich dieses Abhängigkeitsverhältnis nach der Tat entwickelt, ist von mehreren Faktoren abhängig: erstens von der Einsicht des Täters, Unrecht getan sowie dem Opfer Leid zugefügt zu haben; zweitens von der (auf die Einsicht folgenden) aufrichtigen Reue und der Bitte um Vergebung. Und drittens (hier wird es entscheidend!) von der Bereitschaft des Opfers, dem Täter zu vergeben.
Kommt es nach der Erfahrung von Leid zu einem Vergebungsprozess, so wird das Täter-Opfer-Verhältnis umgekehrt: Die „Absolution“ des Täters ist davon abhängig, ob das Opfer bereit ist und sich imstande sieht, dem Täter zu verzeihen. Diesen Schritt kann der Täter niemals erzwingen; er kann bloß darauf hoffen. Der Täter wird abhängig von der freien (!) Entscheidung des Opfers. Florian Kleeberg bringt diesen Gedanken pointiert auf den Punkt:
„Qua seiner Freiheit hat dieser [der Mensch; MV] die Möglichkeit, sich zu allem zu verhalten und sich damit sowohl für als auch gegen ein Beziehungs- und Versöhnungsangebot zu entscheiden.“
— Kleeberg 2016, 263
Fehlende Reue
Was also tut Clemens Tönnies, wenn er kundtut, er wolle sich entschuldigen? Er manifestiert das bestehende Täter-Opfer-Verhältnis. Er nimmt denjenigen Menschen, denen er mit seiner Aussage Leid zugefügt hat, die Freiheit, Herr des Vergebungsprozesses zu werden.
Anstatt die Würde der Opfer zu achten und demütig hinter eine Vergebungsbitte (!) zurückzutreten, degradiert Tönnies sie ein zweites Mal, indem er ihnen das Recht und die Freiheit abspricht, autonom zu entscheiden, ob sie seine Entschuldigungsbitte annehmen wollen (oder gar können!) oder nicht. Die Opfer erfahren ein zweites Mal Leid.
„Ich möchte mich entschuldigen“ – so schnell diese Worte gesagt sind, so sehr tritt das fehlende Bewusstsein der entsprechenden Person darüber zu Tage, wie ein Vergebungsprozess abläuft. Dass Tönnies sich gar nicht erst bei „den Afrikanern“ entschuldigen wollte, sondern bloß bei „den Fans, Mitgliedern und Freunden des FC Schalke 04“, die von seiner Aussage nicht einmal betroffen sind, spricht jedenfalls für sich! (Dass der Vorstand des FC Schalke 04 in einer Pressemeldung moniert hat, der Ruf des Vereins habe „aufgrund von Emotionalität und Aufgeregtheit“ gelitten, passt sehr gut ins Bild, ist aber ein anderes Thema.)
Und nun?
War Tönnies Aussage beim „Tag des Handwerks“ plump und rassistisch? Ja. Ist Clemens Tönnies deswegen ein Rassist? Das kann und möchte ich nicht beurteilen – ebenso wenig, wie ich beurteilen möchte, ob er noch als Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04 tragbar ist.
Was ich aber sagen kann: Wenn Tönnies wirklich eingesehen hat, einen Fehler begangen zu haben, und wenn er diesen Fehler wirklich bereut, dann sollte er noch ein weiteres Mal an die Öffentlichkeit gehen – und sich nicht einfach so entschuldigen, sondern diejenigen demütig um Entschuldigung bitten, die er mit seiner Aussage verletzt hat und denen er damit Leid zugefügt hat. Dazu noch einmal Florian Kleeberg:
„Für das Gelingen des Aussöhnungsprozesses muss natürlich auch die Person zur Versöhnung bereit sein, an der sich vergangen wurde, die also der verfehlten Handlung eines anderen zum Opfer fiel.“
— Kleeberg 2016, 267.
Damit ist klar – und dessen sollte sich Clemens Tönnies bewusst werden –: Wer sich selbst entschuldigt, hat von alledem, wie eine Entschuldigung vonstattengeht, nichts verstanden.
Lektüretipp: Florian Kleeberg: Bleibend unversöhnt – universal erlöst? Eine Relecture von römisch-katholischen Konzepten zur Frage der Allversöhnung im Gespräch mit psychotraumatologischen Ansätzen, Münster 2016 (466 S., ISBN 978-3-402-13151-0).
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