In Aleppo, das vor dem syrischen Bürgerkrieg etwa 2,5 Millionen Einwohner hatte, gibt es heute noch gerade einmal 35 (!) praktizierende Ärzte. 15 von ihnen haben vor wenigen Tagen in einem Brief einen verzweifelten Appell an US-Präsident Obama gerichtet und ihn angesichts der verheerenden Verhältnisse in der Stadt zum „Handeln“ aufgefordert (siehe z. B. hier). Unterstützung erhalten haben sie dabei vom Internationalen Kommitee vom Roten Kreuz. Und was tut die internationale Staatengemeinschaft, die den Krieg tatsächlich beenden könnte? Sie versagt.
„Das normale Leben – das bedeutet für sie [die Bürger von Aleppo; MV]: Bombenangriffe. Das normale Leben sind Kampfjets am Himmel und die Luftangriffe. Das normale Leben bedeutet, dass es nichts zu essen gibt und kein Wasser. So ist das jetzt.“
– Zedoun al-Zoabi, Vereinigung Syrischer Hilfsorganisationen. Quelle: spiegel.de
„Uns helfen nun keine Tränen mehr, kein Mitleid und nicht einmal Gebete. […] Wir benötigen Ihr Handeln!“
– Aus dem Brief der 15 Ärzte an Barack Obama. Quelle: tagesschau.de
Diese Zitate stellen die grausame Realität in Aleppo dar. Es ist Krieg, seit inzwischen vier Jahren. Unter diesem Krieg leiden in erster Linie die in der Stadt lebenden und von der Öffentlichkeit abgeschnittenen Zivilisten, Menschen wie du und ich. Einigen Medienberichten zufolge sollen die Lebensmittelvorräte und medizinischen Hilfsgüter spätestens Ende dieses Monats aufgebraucht sein. Aleppo läuft mit Höchstgeschwindigkeit auf eine humanitäre Katastrophe zu.
Auch wenn es wahrscheinlich jede Vorstellungskraft sprengt, muss man sich in die Lage der Menschen in Aleppo versetzen. Seit vier Jahren bekämpfen sich Regierungstruppen und Rebellen, jeweils unterstützt von ausländischen Truppen, die letztlich nur eigene territoriale Interessen verfolgen. Seit vier Jahren verschlechtert sich die Lage in Aleppo sukzessive – und ist jetzt kurz davor, zu implodieren.
Angesichts dessen wäre es weitaus untertrieben, zu behaupten, dass die internationale Staatengemeinschaft dieser Entwicklung nur zuschaue. Ganz im Gegenteil: sie ist darin sogar (mehr oder minder stark) verstrickt! Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, dass beinahe alle Hilferufe aus Aleppo selbst sowie von (mitunter hochrangigen) Vertretern der internationalen Gemeinschaft formulierte Warnungen vor dem Übertreten von ‚roten Linien‘ folgenlos verhallt sind.
Wenn all diese verhallten Appelle nicht der Beweis dafür sind, dass die internationale Gemeinschaft handlungsunfähig ist und deswegen immer wieder scheitert, dann ist es der Vorfall, der sich vorgestern in Jekaterinenburg ereignet hat. Außenminister Frank-Walter Steinmeier wollte seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow ein Versprechen zu einer längeren Waffenruhe abringen – und wurde von diesem mit dem Verweis auf eine tägliche dreistündige Feuerpause abgespeist wie ein kleiner Schuljunge (siehe z. B. hier).
Wenn Steinmeier es als „positive Nachricht“ aus dem Gespräch mit Lawrow verkauft, „dass die USA und Russland über eine humanitäre Aktion für Aleppo ber[a]ten“ (Quelle: spiegel.de), dann weiß man, wie es um die Handlungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft steht. Den Menschen in Aleppo bringt diese Erkenntnis leider aber nichts…
Das Erschreckende an der gegenwärtigen Situation ist ihre historische Parallele. Vor genau 20 Jahren – der Bosnienkrieg stand kurz vor dem militärischen ‚Showdown‘ – verübten serbische Truppen das „Massaker von Srebrenica“, bei dem mindestens 8.000 muslimische Jugendliche und Männer gefoltert, getötet und in Massengräbern verscharrt wurden. Die internationale Gemeinschaft war zu keinem Zeitpunkt in der Lage, in das Geschehen einzugreifen – die Menschen von Srebrenica waren ihrem Schicksal gnadenlos ausgeliefert, angesichts der Tatsache, dass sie von serbischen Truppen in der Stadt Srebrenica eingekesselt waren.
Nach dem Massaker von Srebrenica versprach man sich, dass ein solches Kriegsverbrechen nie wieder geschehen dürfe. Und nun, 20 Jahre später, stehen wir vor einer vergleichbaren Situation. Hat man tatsächlich aus Srebrenica gelernt? Ich will hoffen, dass sich Geschichte nicht wiederholt…
Um die Situation der dort lebenden Menschen zu verbessern muss der krieg aufhören. Dazu müsste aber eine der Konfliktparteien militärisch besiegt werden, denn klein beigeben würde keine Seite. Aber welche Seite soll man wie unterstützten. Diplomatisch ist wie gesagt nichts zu machen. Wegbomben? Oder doch Bodentruppen schicken? Persönlich würde ich kein Leben eines Bundeswehrsoldaten aufs Spiel setzen für irgendwelche Bewohner von Aleppo. Wie würde außerdem Russland reagieren, wenn Deutschland die Rebellen aktiv unterstützte. Da kann Deutschland so nichts ausrichten. Auf dem internationalen Parkett muss die Sache diplomatisch erstmal geklärt werden, bevor man überhaupt militärisch eingreifen kann. Aber sowihl der Westen als auch Russland sind zu stur um von ihren Verbündeten abzurücken bzw. sind die syrischen Parteien zu stur um einem Frieden zuzustimmen. Die einzige Lösung ist der endgültige militärische Sieg einer der beiden Konfliktparteien.
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Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar! Tief im Herzen bin ich so sehr Idealist, dass ich immer noch auf eine friedliche Lösung hoffe. Wenn man aber hört, was tagein, tagaus in Aleppo geschieht, dann schwindet die Hoffnung leider immer mehr. Dass es einen militärischen Kampf der Großmächte in Syrien geben wird, wage ich zu bezweifeln: Die internationale Kriegspolitik beider "Blöcke" ist seit dem 2. Weltkrieg ja das genaue Gegenteil davon: nämlich die nachhaltige Zerstörung und Destabilisierung einer Region durch einen erbitterten Stellvertreterkrieg! Und selbst wenn es tatsächlich zu einem "Endkampf" zwischen den Großmächten käme und eine der beiden siegte: Wäre das Problem wirklich gelöst? Kurzfristig wahrscheinlich ja, aber dauerhaft?
Herzliche Grüße
Matija