Ganz bewusst möchte ich euch diese Wünsche am Tag nach Weihnachten mitteilen: Zum einen, weil das Geschehen der Weihnacht über den einen Tag, über den 25. Dezember hinaus wirkt; zum anderen aus einem ganz konkreten, aktuellen Anlass: die Kirche gedenkt am heutigen Tag des Hl. Stephanus, des ersten Märtyrers, des ersten Menschen also, der sein Leben für seinen Glauben an den auferstandenen Christus hingegeben hat – ein Gedenktag, der heute aktuell ist wie lange nicht mehr.
An Weihnachten feiert die Christenheit die Menschwerdung Gottes – das habe ich im vergangenen Jahr bereits ausführlich erörtert (s. hier). Unter welchen Umständen aber geschieht dies? Im Prolog des Johannesevangeliums, einer der schönsten und theologisch gehaltvollsten Perikopen der Bibel, heißt es: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ (Joh 1,11)
Konkreter wird das Lukasevangelium: es berichtet davon, das Kaiser Augustus eine Volkszählung angeordnet hat. Josef und Maria reisen dafür von Nazareth aus in das etwa 150 km entfernte Bethlehem. Weil die Stadt überfüllt ist und die beiden so arm sind, dass sie in keiner Herberge mehr aufgenommen werden, übernachten sie in einem Stall. Dort wird später das Jesuskind geboren. Gott wird Mensch – in einer Kulisse, wie sie ärmer (im materiellen Sinne) nicht sein könnte. Ein erster Fingerzeig.
Ein König ist geboren. Die freudige Nachricht muss in die Welt hinausgetragen werden. Nach der Erzählung des Lukasevangeliums wird die Nachricht, die dem ganzen Volk Gottes zuteil werden soll, zuallererst den Hirten Bethlehems verkündet – den Menschen also, die sich am Rande der Gesellschaft befinden, ja gar außerhalb dieser verweilen. Ein weiterer Fingerzeig.
Die Weihnachtsgeschichte im Matthäusevangelium beinhaltet eine ganz eigene Erzählung: Der Engel des Herrn erscheint dem Joseph im Traum und berichtet ihm, dass König Herodes das Jesuskind töten lassen werde, wenn er nicht mit Frau und Kind nach Ägypten fliehen werde. Joseph gehorcht dem Engel und flieht noch in der Nacht mit seiner Familie nach Ägypten, wo sie bis zum Tode des Herodes bleiben. Seine ersten Lebensjahre verbringt der Menschensohn also als Flüchtling. Ein letzter Fingerzeig.
Liebe Freunde! Im Volksmund heißt es, Weihnachten sei das Fest der Liebe. Und das ist es: Weihnachten ist das Fest der Liebe Gottes! Gott wird Mensch, damit seine Liebe dem Menschen verständlich wird. Der Chor der Engel singt zur Geburt Jesu: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14) Der Friede [unter] den Menschen ist es, der von der Liebe Gottes ausgeht. Er soll allen Menschen zuteil werden, aber insbesondere – und das zeigt uns die Weihnachtsgeschichte sehr dezidiert – den Not leidenden, den Bedürftigen, den Kranken, den Armen. Denjenigen, die (damals wie heute) von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen sind.
Weihnachten strahlt nicht nur nach innen, sondern auch und vor allem weit nach außen. Weihnachten ernst zu nehmen, bedeutet nicht nur, mit den Liebsten am Tisch zu sitzen und gemeinsam eine schöne Zeit zu verbringen, sondern die Liebe Gottes, die uns durch Weihnachten allen zuteil wird, auch für diejenigen erfahrbar zu machen, die außerhalb der Gesellschaft stehen.
Ganz konkret wird dieser Gedanke, wenn wir uns die gegenwärtige Flüchtlingsproblematik, die sich durch einen neu aufkeimenden Islamhass zuspitzt, anschauen: Wer Weihnachten ernst nimmt, kann sich dieser Problematik nicht negativ gegenüberstehen. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck hat in seiner diesjährigen Weihnachtsansprache gesagt: „Unser Boot ist noch lange nicht voll.“ Ich sage: Wenn wir an Weihnachten glauben und Weihnachten ernst nehmen, dann ist das Boot nie voll! Wer Weihnachten ernst nimmt, kann sich der Welt nicht verschließen, sondern muss die Offenheit Gottes in sie tragen!
In diesem Sinne wünsche ich euch nochmals ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!