Der größte deutsche Baukonzern, die Hochtief AG, der seinen Sitz in Essen hat, kämpft momentan gegen ein Übernahmeangebot des spanischen Konkurrenten ACS an. Dieser besitzt bereits 30% der Hochtief-Aktien; jetzt möchte er noch weitere 21% aufkaufen, um den deutschen Traditionskonzern zu übernehmen. Hochtief, das trotz Weltwirtschaftskrise vollkommen schuldenfrei ist und somit auf eigenen Beinen steht, hat deutsche Politiker jetzt erstmals um Hilfe gebeten.
Und die Reaktionen von verschiedenen Politikern bzw. Parteien auf diesen Hilferuf zeigen deutlich, wen man in der deutschen Politik heute als verantwortungsvoll bezeichnen kann und wen nicht. Sigmar Gabriel zum Beispiel: der Parteichef der SPD war am Donnerstag in der Hochtief-Zentrale in Essen und forderte die Bundesregierung auf, eine Lücke im deutschen Gesetz so zu ändern, dass es für ausländische Konzerne schwieriger würde, die deutschen zu übernehmen. Eine solche Gesetzesregelung ist in anderen EU-Ländern schon seit mehreren Jahren üblich. Auch vor seinem Besuch in Essen hatte sich Gabriel des Öfteren dafür eingesetzt, den drittgrößten Europäischen Baukonzern nicht einfach hängen zu lassen. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich am Freitag nach längerer „Beobachtungszeit“ zur Situation geäußert. Dabei schlägt sie in die selbe Kerbe wie der SPD-Chef ein: „Hochtief ist ein Aushängeschild deutscher Technologiekompetenz. Schon deshalb sind die Bundesregierung und das Kanzleramt daran interessiert, dass die industriellen Strukturen […] und der Sitz von Hochtief in Essen bleiben.“ Diese Aussage dürfte vielen Hochtief-Angestellten mit Sicherheit gefallen haben. Eine Person wird diesen Satz allerdings nicht sehr gerne gelesen haben: Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüdele (FDP). Dieser hatte erst vor wenigen Tagen angekündigt, dass es für Hochtief von Seiten der Bundesregierung keine Hilfen geben werde.
Brüderles Ankündigung ist erst einmal überhaupt nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass es das Credo der liberalen FDP ist, dass der Staat auf die Wirtschaft keinen Einfluss nehmen darf (>> freie Marktwirtschaft). Man muss im Fall Hochtief allerdings einschränken, dass der Essener Konzern eben schuldenfrei ist und somit nicht um eine Finanzspritze bettelt. Zudem ist der spanische Baukonzern ACS relativ stark verschuldet; er würde mit einer Übernahme von Hochtief wahrscheinlich also nur versuchen, die eigenen Schulden abzubauen. Zu guter Letzt würde man mit einer Gesetzesänderung nicht direkt in die Wirtschaft eingreifen, man würde ja nur das deutsche Unternehmen vor der Übernahme durch den spanischen Konzern schützen. Und somit vermutlich auch einen drastischen Personalabbau bei Hochtief verhindern.
Merkel und vor allem Gabriel, die im Fall Hochtief eine soziale marktwirtschaftliche Position „vertreten“ (→der Staat greift nur so weit in die Wirtschaft ein, wie es nötig ist) scheinen den Ernst der Lage also begriffen zu haben. Die Belegschaft von Hochtief wird ihnen dafür mit Sicherheit dankbar sein (denn man kann davon ausgehen, dass sich Frau Merkel am Kabinettstisch gegen Brüderle durchsetzen wird).
Anbei sei noch gesagt: Bundeskanzlerin Merkel wurde vom damaligen Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier während des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2009 aufgrund ihrer wirtschaftlichen Auffassungen als „Marktradikale“ bezeichnet. Von daher ist es durchaus berechtigt, Herrn Brüderle als Marktextremisten zu bezeichnen, wenn man seine Positionen zu aktuellen und beendeten Diskussionen betrachtet (z. B. AKW-Laufzeitenverlängerung, Rettung von Karstadt/Arcandor sowie Opel).